„Wir werden keine blumigen Versprechen machen und auch keine Beschönigungen. Wir sagen, was geht und was nicht. Ich will, dass in Hamburg wieder eine Politik der Verlässlichkeit ins Rathaus einzieht“, das hat Olaf Scholz den Hamburger Bürgern in seiner Regierungserklärung nach seiner Wahl zum ersten Bürgermeister versprochen. Das war im März diesen Jahres.
Jetzt kurz vor Weihnachten, nur 9 Monate später, ist das Vertrauen vieler Bürger in den neuen SPD Senat angeschlagen. Der Grund ist wieder, wie bei der Vorgängerregierung, die Schulpolitik. Eltern, Netzwerke, Schulleiter, Wohlfahrtsverbände, Gremien protestieren vereint gegen die Schulpolitik von SPD Schulsenator Ties Rabe. Dabei haben sich besonders in der Kritik an der Ganztags-Grundschulreform auch über politische Grenzen hinweg ungewohnte Allianzen gebildet. Doch bis auf ein leises Einlenken bei den Abholzeiten der geplanten ganztägigen Bildung und Betreuung, GBS, macht der SPD Schulsenator keine Anstalten, von seiner Ganztags-Reform abzurücken. Weder hat er eine Entschleunigung der Reform in Aussicht gestellt, noch kommt er den Forderungen der Eltern aus Horten und Grundschulen nach besserer Ausstattung, pädagogischem Konzept, mehr Personal und Vielfalt des Betreuungsangebots entgegen.
In seiner Regierungserklärung hatte Olaf Scholz noch im März als Hamburgs neuer Bürgermeister ganz anderes versprochen:
„Wir werden Hamburg zur kinder- und familienfreundlichsten Stadt Deutschlands machen.…. Im ersten Schritt werden unter anderem noch zum August die von schwarz-grün beschlossene Gebührenerhöhung rückgängig und ein gebührenfreies Mittagessen in Krippen, Kitas und Horten möglich gemacht. Wir werden im Laufe der Legislatur – auch das gilt – die Personalausstattung und die Qualität der Betreuung verbessern,“ sagte Olaf Scholz damals.
Doch jetzt sehen Hamburgs Eltern mit der Ganztags-Schulreform eine erhebliche Verschlechterungen für die Betreuung ihrer Kinder auf sich zukommen. Zwar hatte Olaf Scholz im März einen massiver Ausbau von Ganztagsschulen angekündigt, aber er hatte gleichzeitig Mittagessen und Horte angekündigt. Kein Wort davon, dass in nur einem Jahr alle Hamburger Grundschulen die Umwandlung ihrer Schulen in Ganztagsschule beantragen sollten, kein Wort von einer Abschaffung der Kitagutscheine und Horte. Und kein Wort deutete auf die jetzt von Eltern kritisierte massive Verschlechterung der Betreuung nach einer Komplett-Verlagerung der Nachmittagsbetreuung von den Horten in die Schulen hin.
Wie sehr die Schulpolitik des SPD Senats von den Ankündigungen der Vorwahlzeit abweicht, zeigt der folgende Brief von Ties Rabe, der als damaliger Vorsitzender des Schulausschusses der Bürgerschaft Fragen eines Vaters beantwortete. Es ging darum, wie der heutige Schulsenator vor der Wahl das Vorläufermodell von „GBS“ beurteilte, die damals „GABI“ genannte Hort- und Ganztagsreform der früheren CDUGAL Regierung.
Ties Rabe schrieb am 9. Februar folgenden Antwortbrief an den Vater:
„„Zusammengefaßt lautet meine Antwort: Hortbetreuung an der Schule – eine im Prinzip gute Idee, aber leider schlecht gemacht: Gut finde ich zunächst einmal den dringend notwendigen Ausbau von Ganztagsangeboten. …,.,.
Ich finde es auch vernünftig, bestehende Angebote zum Ausbau der Ganztagsangebote zusammenzuführen. Das gilt besonders für die Horte, die ein anerkannt gutes Angebot in Hamburg machen. Bevor also die Schulen eine eigene Nachmittagsbetreuung mit eigenen Mitteln neu erfinden, halte ich es für sinnvoll, die bestehenden und bewährten Angebote zu nutzen und mit Schule zusammenzuführen.
Allerdings sorgt das Konzept „GABI“ zurzeit für mehr Flurschaden als Nutzen. Dazu trägt der unklare Zeitplan erheblich bei. Erst hieß es, das System starte sehr schnell, dann war nur noch von 5 Pilotschulen die Rede, dann wurden aber 5 + 23 neue Schule zugelassen, und auch der Zeitplan wurde wieder geändert.
Erst Recht ist nicht klar, ob und ab wann die für die Pilotversuche geltenden Bedingungen für alle Horte in ganz Hamburg gelten sollen. Diese Bedingungen sehen eine Reihe von problematischen Einsparungen im Hortbereich vor. Deshalb haben jetzt einige Horte ihre bestehenden Angebote eingestellt, weil ihr Hort unter den angekündigten neuen Bedingungen nicht mehr wirtschaftlich geführt werden kann.
Hier gilt, was die gesamte Schulpolitik der CDU-GAL-Koalition prägt: Gute Idee, ungenaue Planung, ungenaue Ansagen, größtmögliches Durcheinander, unterm Strich erst einmal mehr Schaden als Nutzen.
Deshalb muss eine künftige Regierung handwerklich anders an die Sache herangehen.
– Um nicht erneut die Sache ins Chaos zu stürzen dürfen alle 5+23 „Pilotschulen“ ihre geplante Arbeit beginnen.
– Gleichzeitig muss durch Gespräche und Vereinbarungen mit den anderen Hortträgern sicher gestellt werden, dass die bestehenden Angebote unverändert beibehalten werden und nicht weiter reduziert werden.
– Die Erfahrungen der Pilotschulen müssen vor der Entscheidung über neue Maßnahmen erst einmal abgewartet und ausgewertet werden.
– Danach muss auf der Grundlage dieser Erfahrungen entschieden werden, ob der Weg eine Perspektive für alle Schulen bietet. Zum jetzigen Zeitpunkt kann das niemand seriös entscheiden.
– Das alles braucht etwas mehr Zeit. Deshalb halte ich es für kaum vorstellbar, dass es ab 2013 nur noch das neue System „GABI“ geben wird.
Das wäre der Weg, den ich für sinnvoll halte. Schritt für Schritt. Das ist vielleicht nicht so spektakulär wie die Vorschläge von Frau Goetsch und Herrn Wersich, man kommt damit vielleicht auch nicht immer in die Zeitung – aber dafür funktioniert das Ganze.
Herzliche Grüße
Ties Rabe
Mitglied der Hamburgischen Bürgerchaft
Schulpolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion
Ties Rabe hat also vor der Wahl das Gegenteil von dem gesagt, was er heute als Senator tut. Seine Forderungen an die damalige Regierung von CDU/GAL entsprechen in wichtigen Punkten den Forderungen der Eltern, die jetzt gegen seine Reform protestieren.
In seiner Regierungserklärung im März hat der frischgebackene Bürgermeister Olaf Scholz auch folgendes erklärt: „Ich verspreche den Hamburgerinnen und Hamburgern: Dieser Senat nimmt Politik sehr ernst. Der Maßstab unseres Handelns ist, dass es uns gelingt, das Leben im Alltag – ganz konkret und fühlbar – wieder ein wenig besser zu machen. Wer immer sich daran beteiligen will – in der Stadt und in der Bürgerschaft – ist herzlich Willkommen“.
Die Hamburger Eltern wollen sich jetzt beteiligen, sie haben Initiativen gebildet und konkrete Forderungen an den Senat gestellt. Sie wünschen eine Entschleunigung der Reform, bessere Rahmenbedingungen und Vielfalt der Betreuungsangebote, genau wie im Februar Ties Rabe in seinem Brief.
Doch mit Ausnahme der zugesagten Flexibilisierung bei den Abholzeiten hat Ties Rabe als Schulsentor bisher alle Proteste und Forderungen von Hamburgerinnen und Hamburgern abgewehrt.
Doch mit den neuen Allianzen quer durch alle politischen Reihen wird der Protest jetzt immer deutlicher und schärfer. Und damit zielt er nicht mehr allein auf den Schulsenator. Jetzt wollen Eltern und Bürger keine „blumigen Versprechungen und Beschönigungen“. Viele erwarten, dass nun Bürgermeister Olaf Scholz eingreift und das umsetzt, was er im März in seiner Regierungserklärung angekündigt hat. Die Hamburgerinnen und Hamburger wünschen, dass sich in der Frage der Ganztags-Reform und der ganztägigen Betreuung jetzt seiner Verantwortung als Regierungschef stellt sich an sein Versprechen aus der Regierungserklärung hält, Bürger an seiner Politik zu beteiligen
Es gehe darum, so erklärte Olaf Scholz im März, „dass Bürgerinnen und Bürger aus ihren Alltagserfahrungen heraus schon sehr genau wissen, was zu tun ist. Allzu ideologische Politik kann mit ihren Vorfestlegungen da leicht einer Lösung im Weg stehen.“ http://www.olafscholz.de/1/pages/index/p/5/1629
So wie im März versprochen, sollte Olaf Scholz jetzt im Fall der Ganztags-Grundschulreform auch handeln. Doch dafür bleibt nicht viel Zeit.