Archiv | September, 2011

Fragen zum Bildungsbericht: Was ist ein guter Lehrer?

28 Sept

Nur 30 Prozent aller Lehrer in Hamburg entsprechen „hohen Qualitätsanforderungen“, und zwar unabhängig davon, an welchen Schulen sie unterrichten. Das ist ein Ergebnis des  Bildungsberichts Hamburg von 2011, den Schulsenator Ties Rabe gestern vorstellte.

Ein sehr beunruhigendes Ergebnis:  zwei Drittel der Unterrichtsstunden ensprechen demnach nicht den „hohen Qualitätsansanforderungen“, nur 30 Prozent entsprechen diesen Standarts, „an reinen Grundschulen gilt es  für rund 40 Prozent der Unterrichtsstunden, an Gymnasien sind es unter 30 Prozent“, so die Zusammenfassung des Berichts.   Dies sei ein positiver Trend seit 2007/8 .  Die Beurteilung der Unterrichtsqualität  fußt im Wesentlichen auf Schulinspektionen, die seit 2008 in den Schulen durchgeführt wurden.  Das Ergebnis dieser Schulinspektionen wirkt allerdings alles andere als positiv.

Zwar wisse man über die Qualität von Bildungseinrichtungen immer noch wenig, erklärte Ulrich Maritzen, Leiter des Instituts für Bildungsmonitoring, das den Bericht erstellt hat.  Doch andererseit stellte Ties Rabe fest: Nicht die Schulform, auch nicht die Schule sei entscheidend über den Bildungserfolg, dieser sei vielmehr zu 90 Prozent abhängig vom Lehrer:  “ Meyer und Schulze entscheiden über den Bildungserfolg des Schülers“, brachte es T. Rabe auf den Punkt.

Worum es bei den Schulinspektoren bei der Beurteilung der Lehrerleistungen in den Schulen vor allem ging : „dass Schülerinnen und Schüler möglichst individualisiert wirkungs-und kompetenzorientiert gefördert und daraus hinaus befähigt werden, eigenes Lernen zu reflektieren, um so selbstbestimmt zu lernen und zu arbeiten“, so heißt es im Bildungsbericht.  Dabei wurden selbst innerhalb von Schulen erhebliche Unterschiede festgestellt: Die Bandbreite der Ergebnisse lag hier bei den allgemeinbildende Schulen zwischen „13 bis 72 Prozent. „Von Klassentür zu Klassentür leben Schüler in unterschiedlichen Weltern“,  faßte es Institutsleiter Maritzen zusammen.

Das deckt sich mit dem, was  Schüler und Eltern im Alltag der Schule täglich erleben.  Doch das Ergebnis des Berichts wirft dennoch Fragen auf:  Was genau verstehen die Autoren des Berichts, und vor allem die Schulinspektionen als qualitativ guten Untericht? Von Lehrerseite hat es an der Fragestellung der Schulinspektionen Kritik gegeben.  Geprüft würde vor allem die Umsetzung der von Seiten der Schulbehörde präferierten pädagogischen Methoden, wie dem „individualisierten Unterricht“, zu wenig geprüft würden dagegen die tatsächlichen  Leistungen und Lernerfolge der Schüler.

Zur Frage der Qualität von Unterricht, was also guten Unterricht ausmache  und welche Kriterien es zur Bewertung gebe, habe  er gerade eine mit Wissenschaftlern hochrangig besetzte Klausurtagung durchgeführt, erklärte Ties Rabe gestern.

Unstrittig seien demnach ua. folgende Kriterien für die Qualität von Unterricht:

Guter Unterricht werde vor allem bestimmt von einen vernünftigen Zeitmanagement, einem guten Lernklima, dem Verständnis für die Unterschiedlichkeit der Schüler von seiten des Lehrers. Ganz besonders wichtig sei die Fachlichkeit des Lehrers:  „Wer sein Fach beherrscht und gut unterrichtet, macht guten Unterricht“, so Ties Rabe.  Punkte, die sich so aber  nicht in dem Bildungsbericht wiederfinden.

Insgesamt, so das Resumee des Schulsenators, sei “ die Gewichtung der Kriterien für guten Unterricht noch umstritten“. Der Bericht läßt in diesem Punkt also wichtige Fragen offen.

Bildungsbericht Hamburg 2011: Nur ein Drittel der Hamburger Lehrer bekommt gute Noten

28 Sept

366 Seiten umfaßt er, dichgefüllt mit Zahlen, Details und Graphiken über das Hamburger Bildungswesen  – von frühkindlicher bis zur Hochschulbildung, von Bildungsausgaben bis zu bis zur Qualität von Unterricht. Zum zweiten mal erscheint der Bildungsbericht HH, der alle Daten zum Thema Bildung in HH zusammenfaßt. Er soll das Wissen für politische Entscheidungen in der  Zukunft bereitstellen, so die Projektleiterin Dr. Tränkman und der Leiter des Instituts für Bildungsmonitoring an der Schulbehörde, Norbert Maritzen. Den ersten Bildungsbericht hatte 2009  die Regierung von CDU/GAl veranlaßt. Kernpunkte des Berichts stellten die Wissenschaflter des Instituts an der Hamburger Schulbehörde gemeinsam mit Schulsenator Rabe vor.

Die wichtigsten Ergebnisse:

Gegen den Bundestrend: Die Schülerzahl in Hamburg wächst. Im Gegensatz zu den anderen Bundesländern nimmt die Zahl der Kinder und Jugendlichen in in Hamburger Bildungseinrichtungen  voraussichtlich bis ins Jahr 2020 weiter zu. Die  in anderen Ländern erwartete „demographische Rendite“, dh.eine Erleichterungen für das Bildungssystem durch die Abnahme der Schülerzahlen, gibt es in HH nicht, erklärte Norbert Maritzen.

Ein weiteres Ergebnis: Vor allem die Zahl der Schüler mit Migrationshintergrund wächst weiter, sie entwickelt sich  in „Sieben Meilen Stiefeln“ auf die 50% Marke zu.  Die große Mehrheit stammt dabei aus bildungsbenachteiligten Herkunftsfamilien und hat ungünstige Sprachvoraussetzungen. Eine „große Herausforderung, wir müssen damit umgehen“ , so Norbert Maritzen.

Die regionale Verteilung von Jungendlichen mit Migrationshintergrund in Hamburg ist dabei sehr unterschiedlich. Die meisten leben in Stadtteilen wie Wilhelmsburg, Veddel, Jenfeld oder Teilen von Harburg. Dies deckt sich mit der Zahl der Schüler, die auf Sozialleistung angewiesen sind, zB.  in Dulsburg, Veddel und Jenfeld sind das als mehr als 50 Prozent. Das trifft auch auf die Kinder zu, bei denen beim Sprachtests mit viereinhalb Jahren ein sprachlicher Förderbedarf festgestellt wurde. In den genannten Stadtteilen sind das zum Teil über 43 Prozent der Kinder zwischen 0 bis 6 Jahren.  Ein Viertel der Viereinhalbjährigen hat Sprachförderbedarf, ewas weniger als früher, 9 Prozent der Kinder bekommt  spezielle Unterrichtsstunden. Allerdings sei wissenschaftlich noch wenig über wirksame Sprachförderung bekannt, erklärte T. Rabe.

Thema Schulabschlüsse: Die Abiturquote ist auf 48 Prozent gestiegen, und die  der Schulabbrecher auf den Tiefstand von 7.5 Prozent gesunken.  Dies sei nicht mit einer Senkung des Leistungsniveaus erkauft worden, „die Schüler wissen nicht weniger als vor 7/8 Jahren“, erklärte Schulsenator Rabe.

Eine Zuwachs gibt es bei der Frühkindlichen Förderung, von 296 Mio Euro im Jahr 2002 auf 400 Mio Euro, dabei es gebe dabei auch mehr Geld pro Kind. Regelrecht „explodiert“ sei die Zahl der integrativ geförderten Kinder an allgemeinen Schulen, von 16.2 Prozent im Jahr 2009 auf 24 Porzent im Jahr 2010/11. Es gebe viel mehr Schulstandorte, die integrativ fördern.

Keine Verbesserung gab es jedoch für die vielen Hamburger Jugendliche in den „Warteschleifen“ der berufsbildenden Schulen. Da „kann man nicht von einer positiven Entwicklung sprechen“, erklärte Projektleiterin Trankmann. Der Rückgang von Bewerbern für Ausbildungsgänge aus dem Umland  eröffne hier aber Möglichkeiten für Hamburger Jugendliche.

Gefragt, wie sich die Zunahme der Schüler mit den Sparplänen des Senats vertrage, erklärte Senator Rabe, das sei eine „Herausforderung“. Insgesamt will er die Mittel für Bildung noch mehr umschichten und dort konzentrieren, wo am meisten gebraucht würden. Stichwort Sprachförderung und Intergration. Außerdem wolle er Ressourcen besser nutzen, die schon bereitstehen, zB. Schulräume für Ganztagsschulen.

So umfangreich die Daten sind, ein Ergebnis liefert der Bildungsbericht nicht, erklärte Maritzen: „Wir wissen wenig über die Qualität von Bildungseinrichtungen!“  Auch darüber, wie die Bildungsfaktoren zusammen wirken, sei wenig bekannt.  Erhebliche Lücken gebe es auch bei der Frage der Übergänge zwischen Schule und berufliche Bildung im Anschluss.  Der Bildungsbericht mache auch deutlich, welche Daten noch fehlten und benötigt würden.

Qualität, das war das Stichwort für den Schulsenator. Ein Punkt bleibe nämlich bei allem auch künftig gültig, erklärte  Ties Rabe. Nicht die Schulform, auch nicht die Schule sei entscheidend über den Bildungserfolg: Es sei vielmehr  zu 90 Prozent abhängig vom Lehrer, wieviel ein Schüler lerne. Nur 30 Prozent der Lehrer entsprächen, so das Ergebnis des Bildungsberichts, hohen Qualitätsansprüchen, sagte RAbe. Da gebe es  sogar an einzelnen Schulen riesige Unterschiede, ergänzte Untersuchungsleiter Maritzen.  „Zwischen Klassentür und Klassentür erleben Schüler unterschiedliche Welten“. Dies Ergebnis dürfte noch für Diskussionen sorgen, denn die Schulinspektionen, mit denen die Unterrichtsqualität ua. ermittelt wurde, waren von einigen Lehrern kritisiert worden. Beabsichtigt sei aber keine Lehrerschelte, erklärte Senator Rabe, es gelte vielmehr einiges zu verbessern, zB. beim Zusammenwirken der Lehrer.

Qualität war diesmal auch Ties Rabes Stichwort für das Thema Ganztagsschule. Ein wichtiger Schritt für eine bessere Bildung benachteiligter Schüler sei der Ausbau von Ganztagssschulen,  47, 4 Prozent der Schulen hätten schon ein Ganztagsangebot, stellte Schulsenator Rabe. Das „kann zusätzliche Bildung“ schaffen“ betonte er,  „kann“, denn „Ganztagsschule von besonderer Qualität“ sei eine wesentliche Antwort.  Der Schulsenator erklärte allerdings nicht, wie sich diese Antwort mit seinen früheren Erklärungen zur Ganztagsschule verträgt. Erst vor wenigen Wochen hatte Ties Rabe betont, beim vorgesehenen zügigen Ausbau von Ganztagsschulen wolle er auf Quantität statt Qualität setzen.

Ein Jahr Stadtteilschule, wie hat sie sich entwickelt? Gespräch mit der bekannten Stadtteilschullehrerin Karin Brose

23 Sept

Karin Brose, 61, Studienrätin, war als Expertin für die CDU in der Enquete Kommission, auf deren Empfehlung das Zweistufenmodell aus Gymnasium und Stadtteilschule eingeführt wurde. Sie war lange Lehrerin der HR Schule Sinstorf und unterrichtet jetzt an der Stadtteilschule in Sinstorf (Harburg).

Seit einem Jahr gibt es in Hamburg die Stadtteilschule. Karin Brose hat als Lehrerin an einer Stadtteilschule im vergangenen September nach der Einführung der Stadtteilschule heftige Kritik an der Umsetzung, dem Mangel an Räumen und Personal geäußert. Wie sieht es jetzt ein Jahr später aus?

Kirschsblog: Zur Zeit wird in Hamburg kräftig um die Honorarkräfte gestritten, die einen Teil der Förderstunden an den Schulen leisten sollen, auch an den Stadtteilschulen. Gestern tagte deshalb sogar ein Sonder -Schulausschusses der Bürgerschaft. Dabei mußte sich Schulsenator Ties Rabe sehr kritischen Fragen stellen. Es geht um den rechtliche Rahmen für die Honorarverträge, Scheinselbstständigkeit und Sozialabgaben. Und es geht um die Bezahlung.  Der Senator will 15.97 Euro pro Unterrichtstunde zahlen. Dies hat bei  Lehrern Empörung ausgelöst, auch an den Nachhilfeinstituten:

Frau Brose:  Kein Wunder. Dazu kommt ja die Schwierigkeit der neuen Regelung, dass die Schulen diese Institute, voraussichtlich gar nicht benutzen können. Es wäre aber günstiger, wenn man die Institute auch nutzen könnte, die ja schon in Schulen tätig sind. Wie zum Beispiel an den Ganztagsschulen. Meine Stadtteilschule ist jetzt Ganztagsschule geworden. Da gibt es ein Institut, das den Nachmittagsunterricht regelt,  auch die Mittagsgestaltung und die hätten durchaus Kräfte, die den Förderunterricht übernehmen könnten. Das dürfen wir nicht nutzen, obwohl das schon in unserer Schule implantiert ist.  Unsere Schulleitung soll sich jetzt selber um Honorarkräfte kümmern und diese nach Kräften auf dem Arbeitsmarkt suchen. Die bisherigen Aufgaben der Schulleitungen werden also noch um diese zusätzliche Aufgabe erweitert. Ich weiß nicht, wo dann die Kernaufgaben bleiben, dass können die gar nicht erledigen. Das heißt, unsere 10. Klassen, die jetzt vor dem Abschluss stehen, die Förderbedarf haben und dringend auf Förderung warten, damit sie diese 10. Klasse nicht wiederholen müssen, werden wahrscheinlich gar nicht mehr in den Genuss dieser Fördermaßnahmen kommen, weil sich alles derartig hinauszögert, dass eine Förderung nicht greift.

Kirschsblog:  Sie sind also der Meinung, dass das, was jetzt für die Förderung vorgesehen ist, so nicht ausreicht.

Frau Brose: Richtig. Das muss ganz anders finanziert sein. Es muss den Schulen auch überlassen bleiben, wie sie das machen.

Kirschsblog:  Das heißt, Sie sind der Meinung, man sollte auch durchaus die Institute einbeziehen, die bei Ihnen ja schon tätig sind.

Frau Brose:  Ich denke, dass das günstig wäre. Denn wenn so eine Institution in der Lage ist, eine Mittagsgestaltung zu machen und einen Nachmittagsunterricht für Klassen 5, 6, 7durchzuführen,  usw. dann sind die auch in der Lage, Nachhilfelehrer für größere Schüler zu stellen.

Kirschsblog:  Die Kosten für die Stunden an Nachhilfeinstituten liegen nach der Recherche von Kirschblog aber deutlich über EUR 15,97.

Frau Brose:  Ja, natürlich und das ist letztlich auch eine arbeitspolitische Frage. Wenn Senator Rabe sagt, dass da die ehemaligen Lehrer wieder in den Schuldienst kommen sollen und ein Anschreiben losschickt, halte ich das für eine Zumutung. Man reaktiviert ehemalige Lehrkräfte und neue Arbeitsplätze werden nicht geschaffen. Das ist ja idiotisch. Das kann man schon aus Solidaritätsgründen gar nicht machen.

Kirschsblog: Sie hatten im letzten Jahr eine Reihe von weiteren Missständen an der Stadtteilschule kritisiert.  Wie hat sich die Lage aus Ihrer Perspektive  als Lehrerin einer Stadtteilschule nun entwickelt?

Frau Brose: Die Lage ist speziell an meiner Schule nach wie vor brisant, da wir an 3 Standorten tätig sind. Da wir trotz Antrag in den Baumaßnahmen nicht berücksichtigt worden sind, werden wir wahrscheinlich noch die nächsten 5 Jahre und länger an 3 Standorten sein. Das heißt unsere Oberstufe ist ein ehemaliges Aufbaugymnasium. Die arbeiten dort auch weiter wie ein Aufbaugymnasium, andere Lehrer unterrichten dort ganz sporadisch, und nur wenige Lehrer von dort unterrichten bei uns.

Kirschsblog: Das heißt, die Lehrer ihrer Stadtteilschule reisen von Standort zu Standort?

Frau Brose:  Ja!. Manche arbeiten an drei Standorten, manche arbeiten an zwei Standorten und wenige Glückliche müssen nur an einem Standort arbeiten.

Kirschsblog: Wie ist denn da die Zusammenarbeit. Kann man sich unter solchen Umständen z.B. absprechen.

Frau Brose:  Ganz schwierig. Wir haben jetzt Jahrgangskonferenzen eingerichtet, die regelmäßig tagen müssen. Auch um sich zu koordinieren. In naher Zukunft wird für die Jahrgangsprecher auch eine Gesamtkoordinationskonferenz angesetzt, klassenübergreifend. Da ist das, was installiert wurde, auf mein Betreiben hin. Aber insgesamt sind Absprachen ganz schlecht zu treffen. Der Schulleiter ist auch nur sporadisch anwesend. Jede Schule hat eine Abteilungsleitung, die unter diesen Umständen aber auch nicht wirklich gut koordinieren kann. Die Sekretärinnen sind überlastet.

Kirschblog:  Wie könnte das in Ihren Augen besser laufen.?

Frau Brose: Besser geht das so in dieser Form überhaupt gar nicht. Besser geht es nur an einem Standort.

Kirschsblog:  Das Problem der getrennten Standorte haben ja auch Stadtteilschulen in anderern Stadtteilen, Beispiel Altona. Wie sieht es nun aber, ein Jahr nach dem Start der Stadtteilschule, mit dem Personal aus? Sie hatten vor einem Jahr kritisiert, die versprochenen Sozialpädagogen seien in den Stadtteilschulen nicht angekommen.

Frau Brose: Wir haben an unserer Schule zwei Sozialpädagogen bekommen,  bei gut 1100 Schülern. Sie sind aber beide an der Grundstufe, in Klasse 5 bis 8 tätig, wo sich die Zustände auch zuspitzen. Wir haben dort in letzter Zeit die sonderbarsten Erscheinungen, wie wir sie in unserem Standort in Sinstorf niemals hatten. Da wurde eine Sozialpädagogin schon von einem Schüler der Klasse 5 angespuckt und es entwickelt sich das Gefühl, dass man langsam zur Ghettoschule wird.

Kirschsblog: Wie erklären Sie sich diese Zuspitzung? 

Frau Brose:  Die Schüler dort gehen in eine Schule, in die sie eigentlich nicht gehen wollen. Das ist für mich die Erklärung, denn wir haben ja sämtliche Schüler der Schule umgetopft,  aus ihrem Wohngebiet heraus an einen ganz anderen Standort. Sie müssen dorthin gehen, sind aber nach meinem Eindruck ungerne dort, wollen es gar nicht.

Kirschsblog:  Sie sind also künstlich weg versetzt.

Frau Brose:  Es ist schlimmer, wir haben quasi zwangsverpflichtete Schüler. In unserer sehr weit abgelegenen, verkehrstechnisch ungünstigen Schule, ohne Busanschluss, haben wir nur 37 Anmeldungen, denn da will keiner hin. Der Rest wurde auf eine Zahl von 110 Schülern aufgestockt. Es sind Schüler aus anderen Schulen, die dort abgelehnt worden sind oder über waren. Denn die Stadtteilschule im Zentrum von Harburg ist sehr beliebt. Sie gibt die Schüler, die sie nicht haben will, sozusagen an uns ab. Das heiß, sie werden „umverteilt“.

Kirschsblog: Elternklagen zufolge scheint dies kein Einzelfall zu sein. Es soll auch an anderen Stadtteilschulen keinen Platz mehr gegeben haben, so dass Kinder auch dort auf eine andere Schule gehen mussten.

Frau Brose:  Ja, das ist üblich. Es geht dann nach Wohnortnähe und dementsprechend werden Schüler den anderen Stadtteilschulen zugeordnet. Das kam früher in Einzelfällen auch vor, jetzt ist es massiv. Die Eltern sind dann zum Teil unwillig, und die Schüler ebenso. Was z.B. dazu führte, das unser Schulkleidungsprojekt (gemeint ist das Projekt gemeinsamer Schulkleidung an einer Schule) darunter leidet. Das hat sich alles sehr negativ entwickelt.

Kirschsblog: Helfen Ihnen da die Sozialpödagogen?

Frau Brose:  Das kann ich noch nicht beantworten, weil ich nicht weiß, wie unsere beiden Sozialpädagogen eingesetzt werden. Die wissen das selber noch nicht so richtig. Ich hatte ein Gespräch und habe auch Bedarf für unseren eigenen 2. Standort angemeldet. Denn wir haben Förderschulklassen, die bei uns jetzt zum Hauptschulabschluss kommen, nicht im klassischen Sinn von Inklusion. Aber es gibt einige wenig integrierte Schüler, die z.B. andere Schüler provozieren und Probleme erregen, für sich selbst und für die anderen. Auch da müsste im Grunde ein Sozialarbeiter und Sozialpädagoge kommen, koordinieren und helfen. Besser wären sogar Sonderpädagogen.

Kirschsblog: Würde da eine Teilung der Klasse helfen, oder ein zweiter Pädagoge in der Klasse?

Frau Brose:  Innerhalb der Klasse ist das kein Problem, weil das ja eine relativ homogene Förderschulklasse ist. Aber auf dem Schulhof haben wir die Probleme. Kinder werden gemobbt. Und das ist in jedem Jahrgang das gleiche. Denn es kommen ja an unserem Standort immer wieder neue 9. Klassen und dann geht es immer wieder los. Sie müssen sich erst einmal neuen Raum schaffen. Dann kommen die Ellenbogen raus. Ja, wie es eben so ist, wenn man sich neu einfindet. Wenn die Schüler bei uns mit Klasse 10 fertig sind, dann gehen sie wieder an den neuen Standort..

Kirschsblog: Die Oberstufen der Gesamtschulen haben ja jetzt in dem neuen Kessstudie der 11. Klassen ziemlich schlecht abgeschnitten. Wie erklären Sie sich das denn?

Frau Brose:  Ich denke, das hat mit der Klientel zu tun und mit den Zulassungsbestimmungen. Bisher brauchte man eine 3,0 als Durchschnittszensur in den Hauptfächern und ich bin sicher, dass das zu wenig ist.

Kirschsblog:  Herr Rabe hat jetzt erklärt, dass man höhere Anforderungen stellen will.

Frau Brose: Davon gehe ich aus. Ich glaube, hier ist noch ganz viel Elternwille und Elternträumerei dabei. Vor allem bei unseren Emigrantenkindern ist das so, dass sich Kinder ohne entsprechende Bildung und Wissen irgendwie durch Fleiß auf diese 3 hocharbeiten und dann ins Gymnasium kommen. Manche sind da einfach überfordert, jedenfalls in dieser Art Gymnasium. Das funktioniert so nicht.

Kirschsblog: Vor einem Jahr hatten Sie auch die Binnendifferenzierung kritisiert, die an den Stadtteilschulen gilt, anstelle einer Außendifferenzierung in Kursen wie früher bei den Gesamtschulen. Wie funktioniert das mittlerweile?

Frau Brose:  Binnendifferenzierung ist jetzt Pflicht, d.h. wir sollen auf drei Niveaus unterrichten. Nun ist die Frage, wie man bei voller Stundenzahl für jedes einzelne Kind in jeder einzelnen Unterrichtsstunde eigene Anforderungen schaffen soll.  Gehen wir einmal davon aus, ein Lehrer hat  28 bis 29 Stunden in der Woche und vielleicht 5 Fächer, was bei uns üblich ist. Es reduziert sich also in den meisten Fällen auf die so genannte „natürliche Binnendifferenzierung“, die so abläuft, dass Kinder nach ihrem eigenen Vermögen eine Menge Arbeit erledigen oder eben weniger. Natürlich versucht man schon, schwierigere oder anspruchsvollere Aufgaben dabei zu haben.

Kirschsblog: Gibt es denn dafür irgendeine Hilfe oder Lehrmaterial, die diese Differenzierung erleichtern?

Frau Brose:  Das ist immer noch zu wenig. Es gibt Anbieter dafür, das fängt jetzt an, aber wir haben dafür noch viel zu wenig, d.h. in den Lehrbüchern ist das noch zu wenig geregelt. Hinzu kommt ja auch die Schwierigkeit, dass für manche Klassen die adäquaten Lehrbücher gar nicht vorhanden sind, bei uns z.B. in Beispiel Englisch. Wir arbeiten mit einem Hauptschulbuch in der Realschulklasse. Weil das Englischbuch R nicht vorhanden war.

Kirschsblog: Wie funktioniert unter diesen Umständen die Binnendifferenzierung denn nach der einjährigen Erfahrung?

Frau Brose:  Ich kann nur von meiner eigenen Erfahrung sprechen und ich habe das Glück, meine Schüler seit Klasse 5 zu führen. Das ist jetzt meine Klasse 10. Darunter waren nur drei Hauptschüler, die im letzten Jahr rausgegangen sind, was eine kleine Zahl ist. Die übrigen 25 machen jetzt den Realschulabschluss. Den werden auch alle schaffen.

Kirschsblog:  D.h. Sie haben persönlich in Ihrer Klasse ein gutes Ergebnis.

Frau Brose: Ich habe ein gutes Niveau, weil ich immer auf mittlerem Niveau unterrichte und weil ich inzwischen aufgrund der pädagogischen Leistung oder aufgrund des pädagogischen Zusammenhaltes, der sich gefunden hat, auch in der Lage bin, stärkere Schüler als Hilfen für schwächere Schüler einzusetzen. Die machen das alleine.

Kirschsblog:  Das klingt ja sehr gut. Nun haben aber gerade Stadtteilschulleiter geklagt, dass einige Lehrer an den Rand der Verzweiflung geraten, weil in den Klassen einfach zu unterschiedliche Kinder sitzen und es sehr schwierig wird.

Frau Brose:  Nun, ich habe auch noch eine Fachklasse 10, in der ich Deutsch, Arbeitslehre und Sport unterrichte. Sie wurde aus 2 Restklassen zusammengesetzt, weil jeweils eine halbe Hauptschulklasse im Sommer weggegangen ist. Diese Klasse hat genau 4 deutsche Kinder. Der Rest hat Migrationshintergrund. In der Klasse ist auf Hauptschulniveau unterrichtet worden. Nicht auf Realschulniveau, so dass wir jetzt in der 10. Klasse, die jetzt ihren Abschluss machen soll, große Schwierigkeiten haben. Und da ist mit Differenzierung auch gar nichts zu wollen, weil da eben wenig vorhanden ist und das Schülerverhalten ein übriges tut.  Da müssen jetzt erst einmal neue Ellbogen- und Hackordnungen ausgetragen werden und wir müssen sehen, wie wir innerhalb dieses letzten 3/4 Jahres bei den Schülern noch eine gewisse Bildung anlegen.

Kirschsblog: Wie funktioniert denn die Binnendifferenzierung in den Klassen, die in der Stadtteilschule schon ab Klasse 5 ohne Unterscheidung von Haupt-, Realschule und Gymnasium neu anfangen?

Frau Brose:  Sehr gemischt. Es mag sein, dass Binnendifferenzierung funktioniert, wenn man Schüler von klein auf daran gewöhnt hat, dass sie eigenverantwortlich sind, d.h. dass sie verantwortlich für das sind, was sie lernen. Ich weiß allerdings nicht, ob es mit der Klientel der ehemaligen Haupt- und Realschulen funktionieren kann, dass sie so eigenverantwortlich sind. Denn viele unserer Schüler sind es ja gewohnt, dass man Ihnen sagt, was sie tun sollen. Es sind eben nicht Gymnasialkinder, bei denen vielleicht mehr Intellekt, mehr Intelligenz, auch meistens mehr Elternhaus vorhanden ist. Sie verfügen über mehr Bildungsnähe und das Bewusstsein, „ach, das brauch ich, das ist wichtig“. Wenn ein Kind dieses gar nicht mitbringt, dann ist es eben auch schwierig für dieses Kind eigenverantwortlich zu arbeiten, es fragt sich dann sich eher, „wozu soll ich das eigentlich machen“. Ich glaube deshalb nicht, dass man mit Binnendifferenzierung alles erledigen kann. Meiner Ansicht nach, ich bin da sehr strikt, wäre das Sachsener Modell besser geeignet. Dort gibt es zwei getrennte Züge, den Realschulzug und den Hauptschulzug. Eine ähnliche starke Außendifferenzierung wäre auch bei uns viel günstiger gewesen, d.h., dass man innerhalb einer so genannten Stadtteilschule drei Züge hat, in denen man dann die Kinder in homogenen Gruppen unterrichten kann.

Kirschsblog:  . Also Realschulzug, Hauptschulzug und daneben noch einen Gymnasialzug?

Frau Brose:  Ja, ich würde sagen, man muss drei Züge haben, denn die Gymnasiasten sind ja auch noch da. Ihre Leistungen sind, wie wir jetzt gesehen haben, teilweise sehr schlecht ausgefallen. Damit sie besser werden, muss man sie gesondert fördern. Nur, das kostet auch wieder Geld. Die Lerngruppe darf maximal 20 Schüler haben.

Kirschsblog: Diese Außendifferenzierung gibt es an Hamburger Stadtteilschulen nicht, dafür soll es aber den Förderunterricht geben, z.B. bei Kindern, die früher sitzen geblieben wären, wenn sie Schwierigkeiten in einem besonderen Fach haben. Abgesehen von der Frage der Honorare, gibt es bei Ihnen jetzt schon eine funktionierende Förderung?

Frau Brose: Ich unterrichte im Moment in drei 10. Klassen, da gibt es keine Förderung für alle Fächer. Nur in Physik und Chemie werden unsere Zehntklässler 2 Stunden in der Woche ergänzend unterrichtet, weil sie in den vergangenen Jahren nur Natur und Technik unterrichtet bekommen haben. Da sie in der Oberstufe andere Dinge brauchen, versucht man jetzt, das ein bisschen zu unterfüttern, auf dringenden Wunsch der Eltern hin. Dafür sind diese 2 Stunden Physik und 2 Stunden Chemie eingerichtet worden. Diese Stunden liegen dann am Freitag in der 9. und 10. Stunde, nachdem einige vorher schon 2 Stunden Physik hatten. Das ist natürlich  ungünstig. Darüber hinaus müssen diese Schüler noch von unserem Standort zum nächsten Standort fahren. Der Weg dauert eigentlich 29 Minuten, sie haben aber nur 15 Minuten Zeit. Ansonsten gibt es keinen Förderunterricht, denn die Schule hat, zumindest für die Sekundarstufe 1, also für die Schüler ab 9 und 10, noch gar nicht angefangen, Honorarkräfte zu suchen. Und die Suche nach Honorarkräften überfordert, wie gesagt, die Schulen.

Kirschsblog: Wie sollte denn der Förderunterricht ausgebaut werden, damit es funktioniert? Was würden Sie sich wünschen?

Frau Brose: Wenn, dann muss Förderunterricht am eigenen Standort stattfinden. Schön wäre, er würde in den Unterricht integriert.. Das kann alles nicht am Abend liegen. Stattdessen sollte man es machen wie die Finnen; die Schüler, die Schwierigkeiten haben, aus dem Unterricht rausnehmen und sie parallel fördern. D.h. wenn ich fünf 10. Klassen habe, wie das bei uns jetzt gerade der Fall ist, dann kann ich aus fünf 10. Klassen die schwächsten Mathematiker herausnehmen, wenn der Mathematikunterricht gleichgeschaltet ist, und zu der Zeit kann ein unterfütternder Unterricht laufen . Und wenn die Schüler den Stoff verstanden haben, können sie zurück in ihre Gruppen.

Kirschsblog: Also, die Stadtteilschulen haben demnach im Prinzip drei Probleme. Die Aufsplitterung in verschiedene Standorte, Probleme mit der Binnendifferenzierung und Probleme mit der Förderung.

Frau Brose:   Was ich noch erwähnen möchte, ist, dass wir 3 Arten der Zensierung haben. Denn wir haben ja im Moment neben den neuen Stadtteilschulklassen noch die Klassen der alten Schulformen. Einige Klassen werden von 1 bis 6 zensiert, andere  nach H und R-Noten und einige Klassen werden neuerdings nach G und E-Noten bewertet.

Kirschsblog: Hinzu kommt das Thema Inklusion. Es gab in der letzten Wochen einen regelrechten Aufschrei der Stadteilschulleitungen in der Öffentlichkeit. Wie erleben Sie das in Ihrer eigenen Praxis?

Frau Brose:  Ich habe in meiner Klasse ein schwer behindertes Kind. Wir haben Inklusion also im Grunde schon seit ganz langer Zeit. Das geht mit Elternmitarbeit. Wir waren jetzt gerade auf Klassenreise in Spanien. Die Mutter des Kindes  war natürlich mit, das funktioniert in Einzelfällen, das funktioniert sicher nicht immer. Ich habe auch mit anderen Eltern gesprochen, die behinderte Kinder haben, und die sagten mir, sie hätten es für ihr Kind nicht gewollt, weil diese Kinder sich in ihrem Schutzraum mit anderen behinderten Kindern einfach sicherer fühlen.

Kirschsblog: Die Schulleiter fordern, die Inklusion muss in Form der alten Integrationsklassen weiterlaufen, nämlich mit Doppelbesetzung, also zwei Lehrkräften.

Frau Brose:  Richtig. Auf einer Lehrerfortbildung wurde vor einiger Zeit geschildert, was alles zu tun wäre: Da müssen Kinder auch gewickelt werden, manche nässen ein, andere koten ein, mitten im Unterricht. Eine Lehrkraft hat gefragt, wer das alles machen soll, wer das regeln soll, das Kind muss ja auch gewickelt werden. „Ja das machen Sie natürlich“, hieß es dann. Die Lehrerin fragte daraufhin, wie sie das machen solle, ich „lass meine Klasse allein, geh raus, wickel ein Kind, ich bin dafür auch nicht ausgebildet“. Da wurde dann ganz profan gesagt, ja, „dafür sollten sie sich aber nicht zu schade sein“.

Kirschsblog: Was fordern Sie also? Wie kann die Stadtteilschule Inklusion leisten, was wäre dafür erforderlich?

Frau Brose: Nur ausschließlich mit Doppelbesetzung. Es muss immer eine Sozialkraft dabei sein, die hilft.

Kirschsblog: Gefordert wurde auch, die Anzahl der Kinder pro Klasse zu begrenzen.

Frau Brose:  Es kommt darauf an, welche Art Behinderung die Kinder haben. Wenn es verhaltensauffällige Kinder sind, oder verhaltensgestörte Kinder, dann reicht einer und der Unterricht ist zu Ende. Wenn es sich um  „körperbehinderte Kinder“ handelt, können auch 10 in einer Klasse sein und es funktioniert.

Kirschsblog: Wie lautet also insgesamt ihre Zwischenbilanz für die Stadtteilschule?

Frau Brose:  Uns wurde immer gesagt, es sei ein pragmatisches Jahr, wir machen das irgendwie. Und ich habe das Gefühl, dieses pragmatische Jahr wird sich auf ein pragmatisches Jahrzehnt ausdehnen, wenn es nicht bald anders wird. Weil einfach so vieles jeden Tag spontan entschieden werden muss und teilweise auch anders nicht zu lösen ist.

Kirschsblog: Und Ihre Forderung? Was müsste am aller dringendsten getan werden, um die Lage der Stadtteilschulen zu verbessern?

Frau Brose:  Man muss genau hinschauen, wo der Bedarf der jeweiligen Schule liegt. Es wurde hier ein System, eine Schulstruktur, einfach aufgepropft. Alles soll gleichzeitig passieren. Die Lehrer sollen gleichzeitig Lehrpläne entwerfen, neue Didaktiken  ausprobieren, im Grunde also alles gleichzeitig. Es ist so, als Bild gesehen, als wenn wir ein Kreuzfahrtschiff auf große Fahrt schicken, mitsamt allen Passagieren an Bord, und die wollen sich vergnügen und währenddessen wird das gesamte Schiff renoviert.

Kirschsblog: Was sind denn hierzu Ihre Hoffnungen für die Zukunft? 

Frau Brose:  Ich glaube einfach, das ist meine ganz persönliche Meinung, dass das so in dieser Form nicht durchführbar ist. Dass es auf Kosten der Kinder und auf Kosten der Lehrkräfte geht und letztlich ein Schuss nach hinten ist.  Ich glaube auch nicht, dass man das Niveau so halten kann.

Kirschsblog: Aber die Struktur, die Stadtteilschule ist jetzt da. Sie lässt sich nicht  rückgängig machen. Was kann man jetzt tun?

Frau Brose:  Man hat ja die Freiheit, das innerhalb der Schulen selbst zu gestalten. Und wenn diese Freiheit seitens der Behörde auch zugelassen würde, d.h. den Schulleitungen bei der Umsetzung mehr Gestaltungsspielraum überlassen würde, so dass die Schulen eigenverantwortlicher entscheiden könnten, z.B. in der Frage der unterschiedlichen Züge, wie in Sachsen, wenn dies alles im Dialog geschehen würde und darüber hinaus mit mehr Lehrern und Sonderschulpädagogen, wäre ein Gelingen der Stadtteilschule wohl möglich.

T. Rabes verdichtete Erklärungen: Hilft das G8 bei Englisch und schadet es den Naturwissenschaften? Nachlese zu Kess 10/11

20 Sept

Schulsenator Rabe hatte die Ergebnisse des Kess Leistungstests der 10 und 11 Klassen in Hamburg klar sortiert. Er begann seine Presseerklärung mit einem dicken Lob: „ Sehr positiv wirkt sich die verdichtete Unterrichtszeit an den G8-Gymnasien aus: Ihre Schülerinnen und Schüler haben vor allem in Englisch einen deutlichen Leistungsvorsprung gegenüber dem Vergleichsjahrgang von vor 7 Jahren (LAU-Studie)“.

Hat das Turbo G8 wirklich dieses Lob des Schulsenators verdient? Wirkt sich das G8 positiv aus, steigert die verdichtete G8 Unterrichtszeit die Schülerleistungen im Vergleich zur G9 Unterrichtszeit? Und was ist mit den anderen Fächern außer Englisch.

In den Tabellen, Zahlen und Daten der Kess Studie verstecken sich dazu interessante Informationen –  300 Seiten  lang ist diese Untersuchung der Leistungsentwicklung der 10. und 11. Klassen in Hamburg, 13 300 Schülerinnen und Schüler wurden 2009 befragt und untersucht –  und zwar in den Bereichen  Leseverständnis, Mathematik, Englisch, Orthografie und in den Naturwissenschaften In der Studie werden folgende Fragen untersucht.

Wie haben sich die Leistungen nach den früheren Kesstests weiterentwickelt, speziell nach Kess 8?

Wie haben sie sich im Vergleich zur Untersuchung der 11. Klasse vor 7 Jahren ( Lau 11) weiterentwickelt ?

Was beim Nachlesen auffällt:

G8 Gymnasien stehen bei Kess 10/11 mit ihren Ergebnissen nicht alleine da.  Beispiel Englisch: Genauso gut wie etwa die 11. Klassen in der „verdichteten“ G8 Unterrichtszeit haben sich die Leistungen der Schüler und Schülerinnen der Beruflichen Gymnasien entwickelt, die 11.Klässler an beiden Schulformen sind  „bei Weitem“ besser als der 11. Jahrgang vor 7 Jahren beim damaligen Lau11- Test.  Dies, obwohl die Schülerzahl seit damals um 57 Prozent gestiegen ist, was insgesamt eher weniger gute Ergebnisse erwarten ließe. Besonders angestiegen ist die Schülerzahl in den Oberstufen der Gesamtschulen und Aufbaugymnasien. An diesen zwei Schulformen hat sich vor allem die Zahl der Jugendlichen mit Migrationshintergrund und aus bildungsferneren Familien erhöht. Bei  beiden  Schulformen ist das Anfangsniveau in Englisch trotz des hohen Anstiegs der Schülerzahlen erfreulich gleich geblieben.(S.291) Auch bei der Untersuchung der  10. Klassen zeigen sich in allen drei Schulformen, Gymnasium, Gesamtschule und IHR/ Realschulen „nominell vergleichbare Lernzuwächse“.

Das gute Abschneiden in Englisch betrifft also den gesamten Jahrgang Kess 10/11,  keineswegs nur die Schüler des G8.

Unklar bleibt deshalb, wieso Schulsenator Rabe und der Autor der Studie,  Exstaatsrat Ulrich Vieluf hierin einen Effekt der „verdichteten Unterrichtszeit an den  G 8 Gymnasien“ sehen. Vielmehr erscheint es als wahrscheinlich, dass es andere Ursachen für das gute Abschneiden in Englisch gibt, die den ganzen Jahrgang betreffen. Der unvoreingenommene Leser denkt hierbei als erstes an den erheblich gestiegenen Internet Gebrauch, an das Englisch in Programmen und Netzwerken, sowie andere außerschulische Einflüsse.

Beispiel Mathe:  Hier zeigen sich bei Kess 11 in der Gesamtschülerschaft der 11. Klasse aller Schulformen „keine Leistungsrückgänge“ im Vergleich zu den 11. Klassen vor 7 Jahren, heißt es in der Studie. Im ersten von 2 Mathetests gab es bei den Schülern und Schülerinnen der Gymnasien  und der Beruflichen Gymnasien  sogar einen leichten Leistungsanstieg, (S. 261/291) im Test 2 blieben beide gleich. Die Beruflichen Gymnasien hatten kein „verdichtetes“ G8, und haben dennoch dasselbe Ergebnis wie die Gymnasien. Auch hier leuchtet also Ties Rabes Lob für das verdichtete G8 nicht ein.  Bei den beiden anderern untersuchten Schulformen, den Gesamtschulen und Aufbaugymnasien gab es beim Mathetest 1 eine leichte Verschlechterung, beim Mathetest 2 gab es eine deutliche Verschlechterungen(S. 290/ 291).

Beim Punkt Lesekompetenzen  gibt es eine ähnliche Entwicklung aller SchülerInnen der 11. Kess Klassen.  Alle haben sich in den 7 Jahren seit Lau 11 verschlechtert, weniger an den Gymnasien und beruflichen Schulen, sehr deutlich dagegen die Gesamtschulen und Aufbaugymnasien. (S.291)

Insgesamt gibt es laut Kess 10/11 einen „erwartungsgemäß“ „deutlichen Leistungsvorsprung „ der Gymnasien beim Start in die zweijährige Studien-Oberstufe klar vor den Schülerschaften der dreijährigen Oberstufen der anderen Schulformem. Sie haben die leistungsstärkeren Schüler, entsprechende Vorbildungen und soziale Zusammensetzungen . Doch haben sich die Leistungszuwächse in Englisch, Mathe und auch bei der Lesefähigkeit vor allem in zwei Schulformen, den Gymnasien und beruflichen Gymnasien, folgt man der Studie, außerordentlich ähnlich entwickelt, beim einen mit der verdichteten Unterrichtszeit des G8, beim anderen ohne G8.

Letztes Beispiel, Naturwissenschaften: Heftig alamiert zeigte sich Senator Rabe über das schlechte Abschneiden aller Schüler und Schülerinnen des Kess 10/11 Jahrgangs bei den Naturwissenschaften. Das gilt einmal für die 10. Klassen.  So “ seien wie in den Gymnasien die Lernzuwächse im Bereich der „naturwissenschaftlichen Grundbildung…bei …allen drei Schulformen vergleichsweise gering ausgefallen“. Wenig erfreulich sind auch die Ergebnisse für die Schülerschaft der 11. Klassen der G8 Gymnnasien:  Immerhin 9 Prozent der SchülerInnen und Schüler der 11. Klassen Gymnasien liegen in Hinblick auf den Lernstand nur auf dem Niveau der 8. Klassen!  (S. 281). „Vor allem Mädchen legten insbesondere am Gymnasium eine ablehnende Haltung an den Tag“, so zitiert das Hamburger Abendblatt Ties Rabe .http://www.abendblatt.de/hamburg/article2029893/Hamburgs-Schueler-Englisch-top-Alarmstufe-rot-in-Mathe.html.

Nicht  erklärt wird, warum der verdichtete Unterricht des G8 Gymnasiums, mit dem Ties Rabe das sehr gute Abschneiden bei Englisch begründet, bei den Naturwissenschaften keinen vergleichbaren positiven Effekt erzielt hat.

Für den Beobachter liegt der Verdacht nahe, dass die „verdichtete Unterrichtszeit des G8 Gymnasiums“, das heißt bis zu 15 Fächern mit 34 Wochenstunden Pflichtunterricht, und dies bei dem verdichteten Pensum des Turbo G8 Gymnasiums oftmals eher nachteilig wirkt, gerade bei den Naturwissenschaften.  Zumal Jugendliche in der Oberstufe, bzw. Studienstufe der  G8 Gymnasien häufig noch mehr Unterrichtstunden haben, als bis zur 10. Klasse, nämlich bis zu 38 in der Woche, bis zu 11 Stunden an einem Tag.  So beginnt die 7. Unterrichtsstunde eines Hamburger Gymnasium  laut Stundenplan der Schule am Spätnachemittag um 17 h und endet erst um 18.30 h. In derart „verdichteten Unterrichtszeiten“ sitzen um diese Zeit  16 und 17 jährige Schüler/Innen der 11. Jahrgänge des G8.

14 Prozent der Schüler und Schülerinnen der Hamburger Gymnasien hat das verdichtete Turbo G8 so auf jeden Fall nicht erreicht. Ihre Leistungen entsprechen in Klasse 11 der zweijährigen Ober-Studienstufe der Gymnasien, so auch ein Ergebnis der Kessstudie, eher der Vorstufe der dreijährigen Oberstufe der anderen Schulen. Es sind immerhin 700 junge Menschen.

Soweit die Ergebnisse der Gymnasien und die Diskussion um die G8 Verdichtung.

Sorgen bereitet ein weiteres Ergebnisss von Kess 10/11.  Es betrifft die Ergebnisse der 11. Klassen an der dreijährigen Oberstufe der anderen Schulen, besonders der Gesamtschulen. „In den Kompetenzbereichen Leseverständnis, Englisch, Mathematik und insbesondere Naturwissenschaften finden sich demnach „erhebliche Anteile“ an Jugendlichen, die unter dem Durchschnittsniveau der 8. Klassen lagen .“ Mit Blick auf die curricularen Anforderungen der gymnasialen Oberstufe verzeichnen diese Schülerinnen und Schüler so erhebliche Leistungsrückstände, dass das Erreichen des Abiturs fraglich erscheint, „ heißt es in der Pressemitteilung.

Der Untersuchungsbericht von Kess 10/11 endet mit der Frage nach den Veränderungen durch die Einführung der  Stadtteilschule, in die alle nichtgymnasialen Schulformen des Jahres 2009 mittlerweile zusammengeführt wurden.

Kirschsblog will dieser Frage nachgehen. Lesen Sie dazu das große Wochenend – Interview, am kommenden Sonnabend!

Die Lage an den Stadtteilschulen ein Jahr danach: Gespräch mit einer bekannten Hamburger Stadtteilschullehrerin

 

Sind 15.97 Euro pro Förderstunde der übliche Tarif? – Kirschsblog fragt nach

15 Sept

Empört reagieren pensionierte Lehrer auf die 15.97 Euro, die Schulsenator und Behörde ihnen für Nachhilfestunden an Hamburgs Schulen zahlen wollen.  Die Behörde hatte in diesen Tagen in freundlichen Briefen bei ihnen angefragt, ob sie nicht Lust hätten, als Honorarkräfte im Programm „Fördern statt Wiederholen“  Schüler zu fördern. Schüler, die in einzelnen Fächern schwächeln und früher deswegen vielleicht sitzengeblieben wären. Doch das Sitzenbleiben wird seit letztem Jahr schrittweise abgeschafft.  „Gezielte Förderungen für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler sind der bessere Weg“, als Klassenwiederholungen, so Senator Rabe.

Gezielt Fördern will die Behörde künftig mit 15,97 Euro, dem „Höchstsatz“ pro Förderstunde, so der Leiter des Amtes für Bildung Norbert Rosenboom. Das sei „der übliche Tarif, der jetzt angewandt wird“, so zitierte das Abendblatt den Behördensprecher Peter Albrecht. Die Suche nach einem Nachhilfelehrer für die Herbstferien bietet Gelegenheit für einen Test.

Kirschsblog fragt nach:

15.97 Euro: Ist das der übliche Tarif  für Nachhilfestunden?

Nachhilfe Hamburg“ –  diese 2 Suchworte ergeben bei  Google 4.320.000 Treffer.  Eine Auswahl fällt schwer:

1. Beispiel:  Nachfrage bei einem der ältesten Nachhilfeinstitute in Hamburg:

 „Der erfolgreiche Weg zu besseren Noten“, heißt es auf der Homepage dieses Instituts, es bietet „professionelle Nachhilfe“ für alle Schultypen in allen Klassen und Fächern. Ein Vater lobt, die  Nachhilfelehrerin XXXX habe es geschafft, dass sich sein  Sohn Alexander durch „die hervorragende Betreuung …. in Englisch um zwei Notenstufen verbessern konnte“. Die Preise seien regional unterschiedlich, heißt es. 

Die Nachfrage ergibt: In  Hamburg betragen die Kosten pro Unterrichtseinheit von 90 Minuten 49 Euro, für Einzelunterricht zuhause incl. Anfahrt. Eine Schulstunde kostet in diesem Institut folglich 24,50 Euro. Drei Monate sollte man für Nachhilfe mindestens einplanen, erklärt der kompetent wirkende Leiter, solange dauere es, bis der Stoff wirklich sitze. Es gehe dabei ja auch um Lernverhalten und Strukturen, jedes Kind werde getestet, denn jedes sei anders und brauche einen anderen Lehrer. Wow! Leider ist er zu teuer, der komplette Wechsel von der Schule an dieses Institut.

2. Beispiel: ein Institut, das Gruppenunterricht für 3 bis 5 Kinder in den eigenen Räumen anbietet.

Mit Anfahrt ist das also zeitaufwendiger für die Schüler. Eine Unterrichtseinheit, das sind auch hier 90 Minuten, in einer Gruppe von 3 bis 5 Schülern kostet 16 Euro pro Schüler. Die Einzelstunde kostet pro Schüler in der Gruppenstunde demnach  8 Euro. Für eine Einzelstunde Nachhílfe zahlt die ganze Gruppe mit 3-5 Kindern also zusammen 24 Euro bis 4o Euro, je nach Teilnehmerzahl.  Einzelunterricht in einer 45 minütigen Nachhilfestunde kostet 29.50 Euro. 

3. Beispiel: Der Unterricht in diesem Institut ist teurer, dafür habe man aber sehr qualifzierte, also richtige, ausgebildete Lehrer, so erklärt man am Telefon.

Eine „Schulstunde“, also auch 45 Minuten Einzelunterricht, kostet dort 30 Euro, 60 Euro kostet eine Doppelstunde von 90 Minuten. Eine volle Zeitstunde Unterricht kostet 40 Euro. Selbstverständlich, ergänzt der Herr am Telefon, inklusive Sozialabgaben. Damit zielt er auf die rechtliche Auseinandersetzung um die Honorarverträge der Behörde, bei denen Sozialabgaben wohl fehlen.  

Angesprochen auf die 15.97 Euro der Behörde reagiert der Herr am Telefon empört. Das Angebot sei eine Mogelpackung, sagt er, die Qualität sei nicht gewährleistet. 15.97 Euro pro Stunde sei im übrigen reine Gehaltsdrückerei, und Ausbeutung. Schauen Sie mal, was sie für die Werkstattstunde bei einer Autoreparatur zahlen, oder für die Telekom, sagt er noch.

Das sieht man auch an den anderen Nachhilfeinstituten ähnlich. „Sehen Sie sich doch einmal an, wen die Behörde einstellen will, das sind Hausfrauen oder Oberstufenschüle. Sie könnten da auch sofort anfangen.“  

24, 50 bis 40 Euro für eine Nachhilfestunde – das ergibt die Recherche.  Wer soll bei diesen Tarifen am freien Nachhilfemarkt Förderstunden in den Schulen für 15,97 Euro übernehmen? Am Ende könnten die Honorarverträge aber auch für Behörde und Stadt noch teurer werden! Noch überprüft die Rentenversicherung an rund 300 Hamburger Schulen alle Honorarverträge aus den Jahren 2006 bis 2010 – auf der Suche nach den fehlenden Sozialabgaben.

A. Schleichers Deutschland Bashing

14 Sept

„Herr Schleicher betreibt mal wieder Deutschland Bashing“, so hieß es heute in einem von vielen verärgerten Kommentaren zu den Berichten in der Presse. Viele können es offensichtliche nicht mehr hören, die Kritik der OECD an deutscher Bildung. Gestern wurde in Berlin die allerneueste OECD Bildungsstudie vorgestellt, für das Jahr 2011. Sie enthielt wieder viel Kritik.

Deutschland habe im internationalen Vergleich viel zu wenig Hochqualifizierte, es gebe zu wenig Hoch- und Fachhochschulabsolventen, Meister und Techniker. „Deutschlands Beitrag zum weltweiten Pool an Talenten schrumpft rapide“, heißt es in dem „Bericht auf einen Blick 2011″, der Organisation für Wirtschaft und Entwicklung, OECD in Paris. Vorgestellt wurde der Bericht in Berlin von Mr. Pisa, dem gebürtigen Hamburger Andreas Schleicher. Er gilt als  Erfinder von Pisa und und hat in den Bildungsberichten der OECD seit 2002  das Deutsche Bildungssystem immer wieder heftig kritisiert. Auch diesmal.

Die Zahl der Hochqualifizierten in Deutschland wächst „außergewöhnlich langsam“, so heißt es in dem Bericht. In der Altersgruppe  55-64 Jahre gibt es laut OECD in Deutschland insgesamt 2,46 Millionen Menschen mit Hochschulabschluss oder vergleichbarem Beruflichen Abschluss. In der der jüngeren Altersgruppe der 25-34 Jährigen ist die Zahl der Hochqualifizierten in Deutschland aber nur sehr geringfügig gestiegen, auf 2,48 Millionen. Dagegen hat sich die Zahl der Hochqualifizierten in den 36 untersuchten OECD – Ländern von 39,16 auf 81,21 Millionen mehr als verdoppelt, und in vielen Ländern war sogar ein noch stärkeres Wachstum zu verzeichnen.

 Der Anteil an Höherqualifizierten in Deutschland liegt bei 29%, im OECD-Durchschnitt  liegt er dagegen bei 39%. Der Anteil der Hochschulabsolventen hat sich seit 1995 zwar immerhin verdoppelt, aber Deutschland liegt im OECD Vergleich weit abgeschlagen, auf Platz 23 von 27 OECD-Ländern.

 Die Nachfrage nach Hochqualifizierten wächst, das Angebot ist zu gering, während sich die Zukunftsaussichten von Geringqualifizierten in Deutschland verschlechtert haben.

 Inwieweit sind diese Zahlen überhaupt vergleichbar, fragen sich nun viele auf den  Kommentarseiten zu den Presseberichten des Tages: „..was genau ist denn ein „Hochqualifizierter“, schreibt ein Kommentator im Spiegel, „Allein dafür gibt es in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedliche Ansichten.“

Ähnlich auch ein Kommentar in der FAZ: „Die OECD-Zahlen sind für Deutschland völlig anders zu deuten. Dies ist schon durch das weitestgehend einmalige duale Ausbildungssystem bedingt. In Deutschland sind viele Berufe, die in anderen Ländern einen Studiengang sind, eine Ausbildung….Dies führt dazu das in anderen Bildungssystemen, wie etwa in Frankreich, ein Studium notwendig ist um eine berufliche Startqualifikation zu haben, den es gibt dort keine berufliche Ausbildung wie in Deutschland. Daher sind die Zahlen der OECD völlig verfälscht für die deutsche Situation.“ http://www.faz.net/artikel/C30923/oecd-bildungsbericht-deutschland-fehlt-es-an-hochqualifizierten-30685744.html

Und auch die Regierung äußerte sich ähnlich, zB. in der WELT: „Unsere bewährte duale Ausbildung, um die uns ja viele Länder inzwischen beneiden, ist eben eine attraktive Alternative, die es in den meisten anderen Ländern so gar nicht gibt“, sagte Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung. In anderen Staaten würden Teile der in Deutschland existierenden dualen Ausbildung an Unis gelehrt. http://www.welt.de/politik/deutschland/article13602469/Deutschland-mangelt-es-an-Hochqualifizierten.html

 Dabei bringt der Mangel der Höherqualifizierten in Deutschland diesen laut OECD durchaus Vorteile:

Ihre Beschäftigungsquote ist seit 1997 um 4 Prozent gestiegen, auf nunmehr 86% Prozent Deutschland steht in dieser Hinsicht auf Platz 10 unter den OECD-Ländern. Die Erwerbslosenquote ist eine der niedrigsten im OECD-Raum und liegt mit 3,4% rd. 2,3 Prozentpunkte niedriger als 1997.

Deutsche Arbeitgeber müssen deutlich höhere Vergütungen an Höherqualifizierte zahlen als in den anderen OECD Ländern, durchschnittlich 20 000 US-Dollar mehr pro Jahr. Wegen der höheren Steuern und Sozialabgaben erhalten die Arbeitnehmer in Deutschland allerdings netto weniger, rund 45 000 US (i. Alter von 45bis 54 Jahren). Das entspricht nur 47% der Kosten, die der Arbeitgeber für sie aufwenden. Mit einem Abschluss im Sekundarbereichs II sind es rund  51% (30 000 US-$) und bei einer Arbeitskraft mit niedrigerem Qualifikationsniveau 52% (28 000 US-$).

Aber auch für Öffentlichkeit und Staat bringt Höherqualifiziere erstaunlich große Vorteile. Durch die lebenslange Arbeit eines Höherqualifizierten entsteht dem deutschen Staat durch dessen Steuern und Sozialabgaben ein Gewinn von 169 000 US-$, bei den Frauen 85 000 US-$. Dies ist nach den USA der zweithöchste Nettoertrag für männliche Arbeitskräfte unter 25 OECD-Ländern, für die es vergleichbare Daten gibt.

 Positiv verzeichnet der OECD Bericht schließlich auch die Tatsache, dass die deutschen Studiengebühren zu den niedrigsten in den OECD Ländern gehören, für deutsche wie für ausländische Studierende. „Deutschland nimmt 7% aller Auslandsstudierenden weltweit auf und ist bei ihnen das viertbeliebteste Land nach den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich, und Australien“. Positiv wird auch vermerkt, das 25 Prozent der ausländischen Studierenden in Deutschland bleiben und arbeiten wollen.

Schlecht schneidet Deutschland dagegen nach dem Bildungsbericht bei den Ausgaben für Schulbildung ab. Sie seien seit 1995 „deutlich gesunken.“ Von damals 5,1% seines Bruttoinlandprodukts auf 4,9% im Jahr 2008. Damit liegt Deutschland weit hinten auf dem 30. Platz von 36 Ländern in der OECD, und deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von 5,9%. Dieser Rückgang der Ausgaben für Bildung traf besunders die Grundschulen. Zahlten die OECD- Länder im Durchschnitt  7 200 US-$ je Grundschüler, gab Deutschland nur      5 900 US-$ je Grundschüler aus. Deutsche Grundschullehrer haben dabei aber das drittgrößte Einkommen im OECD Vergleich.

Die Folge, so die OECD: In Deutschland sind die „Klassen größer“ es kommen „mehr Schüler auf eine Lehrkraft“, und die Schüler „haben auch weniger Unterrichtsstunden“. Für Studium und Berufsbildung wird dagegen in Deutschland mit 1700 US-$ je Studierenden mehr ausgegeben als im OECD Dchschnitt..

Auch hier ist aber die Frage, inwieweit diese Zahlen der verschiedenen Bildungssystem miteinander verglichen werden können. Zahlen von privaten und öffentlichen Schulen werden im OECD Bericht offensichtlich zusammengemischt.

Gut schneiden im OECD Bericht die deutschen beruflichen oder berufsvorbereitenden Bildungsgänge ab. Pro Schüler werden 5 000 US-$ mehr ausgegeben als für Schüler in allgemeinbildenden Zweigen des Sekundarschulbereichs und etwa 3 000 US-$ mehr als im OECD-Durchschnitt.

 Schon im letzten Jahr hatte es für die berufliche Bildung in Deutschland Lob von der OECD gegeben. Sie „leiste einen wesentlichen Beitrag zur Integration von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt und sei ein „entscheidender Faktor für die im internationalen Vergleich geringe Jugendarbeitslosigkeit“, hatte  OECD-Expertin Kathrin Höckel damals erklärt. http://www.sueddeutsche.de/karriere/oecd-studie-zu-beruflicher-bildung-gefaehrliche-deutsche-defizite-1.996706

Link zum OECD Bericht:

http://www.oecd.org/document/8/0,3746,de_34968570_

34968855_39283656_1_1_1_1,00.html

Elternabend am G8 Gymnasium: „Jungs stören“

8 Sept

Elternabend in einem Hamburger Gymnasium, Klasse 9 im G8 Turbogymnasium. Wie alle Hamburger Gymnasien ist die Schule Ganztagsschule. Das heißt mindestens 34 Stunden Unterricht pro Woche, mindestens zweimal pro Woche  8 Stunden Tag, dh.  8 Stunden Pflichtunterricht! Seit neuestem kommen für viele 2 Förderstunden dazu, und der Chor, oder Orchester, macht 38 Stunden Schule pro Woche für 10 bis 16 Jährige, die Größeren haben manmal mehr.

Am Elternabend herrscht Krisenstimmung! Schüler haben gestört, mehrfach! Eltern, speziell Eltern von Schülerinnen sind sehr aufgebracht: Jungs haben mit Krampen geschossen, ein Schüler wurde am Auge getroffen, Jungs haben Sachen von Mitschülern versteckt, eine Federmappe wurde im Mülleimer von Reisbrei verschmutzt, Jungs haben einen Mitschüler in den Schrank gesperrt, die Tür ging kaputt. Die Jungs stören den Unterricht und die Schüler, die aufpassen und lernen wollen. Ein Missetäter ist schon ausgemacht, er soll  in die Parallelklasse umgesetzt werden, hat die Lehrerin den Eltern per Einschreiben angekündigt. Wenn noch die geringst „Kleinigkeit“ passiert!

Sie wird passieren, diese Kleinigkeit, die Mutter des Missetäters weiß das, es ist bisher immer wieder etwas passiert, der Junge ist jetzt 15 Jahre alt, mitten in der Pubertät.

Viele Eltern könnten verzweifeln. Immer wieder müssen sie es erleben. Es gibt, so scheint es,  Schüler/Innen, die schaffen es wohl, sie können stundenlang sitzen und lernen. Aber ihre Kinder können es offensichtlich nicht. Warum, was ist los mit ihnen? Oft sind es Jungseltern, die sich das fragen.

Alles ganz einfach, antworten ihnen Schulpolitiker: Schüler, die 8 Stunden Unterricht nicht aushalten, die Dauersitzen nicht schaffen, die unruhig werden, sich bewegen müssen, die toben und rangeln,  sind am Gymnasim fehl am Platze. Sie sollten  in die Stadtteilschule gehen, so die Politiker. Dort gebe es viel weniger Wochenstunden, rund 28, wie früher auch im Gymnasium.  

Doch das sehen viele Eltern von Kindern, die Dauersitzen unruhig macht, die toben und rangeln wollen, und sich bewegen, nicht ein. Ihr Kind hat wie alle eine Empfehlung bekommen, ist ein 8 Stundentag in der Schule, sind 34 Wochenstunden ein Grund, ihre Kinder vom Gymnasium auszuschließen? Geht es beim Erwerb der Hochschulreife um Lernen und Begabung oder um die Fähigkeit des Dauersitzens?

Und ist das Problem mit einem Schulwechsel aus der Welt geschafft?

teil 2 folgt

Wochenend und Sonnenschein, Schulausschuss und Schulraumnot

5 Sept

Freitag abend, für die meisten Hamburger der Beginn eines lange vermißten sonnenwarmen Sommerwochenendes. Während Bratdämpfe und Musik aus Lautsprechern vom Alstervergnügen zum Rathaus herüber wehten und entspannte  Bürgerinnen und Bürger durch die schwüle Luft zur Alster zogen, saßen im Saal 151 bis 23 Uhr Abgeordnete beim Treffen des Schulausschusses der Bürgerschaft. Sie saßen dort seit 16 Uhr, mit ihnen viele Eltern und Lehrer, die wegen des Themas Schulbau in Hamburg gekommen waren und hören wollten, wie es mit drückenden baulichen Problemen an ihren Schulen weitergehen wird.  

Zu Schulbeginn hatte es wieder heftige Klagen gegeben, wegen der überfälligen  Sanierungen von maroden Schulen.  Auch die Tatsache, dass 7000 Kinder in diesem Schuljahr in Containern statt in Klassenräumen sitzen,  hatte am Schuljahrbeginn viel Kritik ausgelöst. Viele Eltern und auch Lehrer fragen sich, wie unter diesen Umständen der von Senator Rabe angekündigte Ganztagsausbau an allen Schulen funktionieren soll.

Für Bewältigung vor allem der nötigen Sanierungen war von der CDUGAL Regierung 2010 ein „Sondervermögen“ gebildet worden. Ein Bilanztrick, mit dem nötige Kredite um den offiziellen Haushalt herum aufgenommen werden können, im Haushalt selbst tauchen sie nicht auf. 

Thema am Freitag war jetzt, eineinhalb Jahre und eine Wahl später, die aktuelle Lage des „Sondervermögens Schulbau“.  Beantwortet wurde sie vom Sprecher der Geschäftsführung der Sondervermögen Schulbau,  Ex-Staatsrat Klaus Teichert. Er führte eine Präsentation mit Bildern von Baumaßnahmen an Schulen vor und nannte die neuesten Zahlen:  Die „Schulbau Hamburg“ hat  mittleriweile 800 Mitarbeiter beschäftigt. Als Eigentümer vermietet sie alle Schulgebäude in Hamburg an die  Schulen in Hamburg, insgesamt eine Grundstücksfläche von etwa 9,1 Millionen Quadratmetern. 

Neben 252 Verwaltungskräfte, sind bei der Schulbau  Reinigungskräfte beschäftigt, und sie bezahlt nach einem schwer durchschaubaren System 75  Hausmeistern an Hamburgs Schulen, 22  werden widerum von der Schulbehörde bezahlt.  Die Konstruktion der Sondervermögen Schulbau werde durch die Mieteinnahmen und durch die Kredite finanziert, erklärte Teichert. Als Kredite seien dabei für das Jahr 2011 insgesam 216 Mio Euro vorgesehen, 223 Millionen für das Jahr 2012. 

Es ist mittlerweile rund 21 Uhr. Alle betroffenen Eltern und Lehrer in den Besucherreihen sind längst gegangen. Vier volle Stunden hatte Punkt eins der Tagesordnung gedauert, eine Expertenberfragung zum Thema Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Zu lange für die besorgten Eltern und Lehrer.

Jetzt geht es um endlich um die Raumnot. Sie sei durch mehrere Faktoren entstanden, erklärt Senator Rabe. So seien neue Schulformen, wie die Stadtteilschule, entstanden, außerdem würden Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf zunehmend auf Regelschulen angemeldet, Stichwort „Inklusion“. Hinzu käme die Verkleinerung der Klassen. Diese wurde im vergangenen Jahr für alle Schulen außer Gymnasien beschlossen. Und auch der Ganztagsbedarf, fuhr T. Rabe fort, erhöhe den Raummangel der Schulen, viele kleinere Gruppen bräuchten dann mehr Räume.

Wo es denn quietsche und scheppere, startet die Abgeordnete Heyen von der Linken die Fragerunde der Abgeordneten schließlich. Und dann endlich kommen auch einige der Probleme zur Sprache, die die Eltern und Lehrer lange vorher ins Rathaus geführt hatten.

168 Container seien aufgestellt worden, 40 Containern seien wg. Lieferproblemen in Tschechien verspätet eingetroffen, einige kämen jetzt noch, erklärte K. Teichert. Die Miete für Container von insgesamt 1.9 Mio Jahr sei ferner günstiger als der Kauf – wenn sie für 3 Jahre stehen sollen. Einige stünden aber schon 6-7 Jahre, räumt er ein.  Dass die Reperatur von Mängeln und Schäden in den Schulen manchmal lange dauerten, erläutert er, werde sich verbessern: Ein „Projektmanager“ der Schulbau Hamburg sei für die bauliche Betreuung von rund 7 – 10 Schulen zuständig. Alle Beteiligten würden sich mittlerweile besser kennen, es sei  auch nicht leicht für die Schulleiter gewesen, die bisher in ihren Entscheidungen freie gewesen seien.

Die Primarschulefrage, erklärt nun T. Rabe, habe einen Baustopp beim Schulbau verursacht. Dies habe schon sein Vorgänger Dietrich Wersich beklagt. Der Schulentwicklungsplan, den der Schulsenator immer noch nicht vorgelegt hat und dessen Fehlen die Opposition heftig kritisiert, sei für „Bauten nicht maßgeblich“. 13 Zubaumaßnahmen seien  jetzt im Übrigen eingeleitet, 7 ua. an Stadteilschulen.

Kritisch befragt wird Rabe nun  zu seiner früheren Kritik an der Konstruktion der „Sondervermögen Schulbau2, zu einer Zeit als er selbst noch Abgeordneter der Opposition war. Damals habe er diese Konstruktion noch als unseriös bezeichnet, von Schattenwirtschaft gesprochen und deswegen eine kleine Anfrage in der Bürgerschaft gestellt. Ties Rabe kontert, seine Kritik sei damals auch richtig gewesen, dazu stehe er noch, doch jetzt heiße es nach Vorne zu schauen, alles andere würde zu weiteren Verzögerungen im Schulbau führen,

Und dann, fünf Stunden nach Beginn, wird es in diesem Freitagnacht im Schulausschuss noch einmal richtig spannend.  Beim Thema Ganztagsschule.  Die Frage: Wie soll die Reform des Senators, die  Einführung von Ganztagschule an allen Hamburger Grundschulen, bewältigt werden, angesichts der geschilderten Engpässe bei Sanierung, Bauten und Klassenräumen . Ein Thema, bei dem die Abgeordneten trotz der späten Stunde besonders nachhaken. Es ist fast 22 Uhr.

Derzeit sei man zur Bestandsaufnahme in den Schulen unterwegs, um den Bedarf zu klären, erklärt Klaus Teichert den Abgeordneten, viele Wünsche würden aber nicht erfüllt werden können:  „Ich weiß, das das eine interssante Diskussion geben wird“.  Man werde aber alles bereithalten, “ dass in den nächsten 2 Jahren alles für den Ganztagsschulbetrieb zur Verfügung gestellt werden kann“.

Was aus Sicht des Senators und der „Schulbau Hamburg“ für den Ganztagsbetrieb benötigt wird, wird dann ganz schnell klar. Gebraucht würden Spülen, Küchen und Sanitäranlagen!  Man werde die Planungsverfahren verkürzen, denn für die erste „Tranche“ brauche man schon bis August 2012 neue Kantinen, sagt Ties Rabe. Es würden Module entwickelt für Küchen, Essenseinahme, Sanitärbedarf bis zum Flächenbedarf der Ganztagsschule, erläutert K. Teichert. Es sei dabei immer zu klären ob der Bestand ausreiche oder Neubauten nötig würden, in der Regel werde es einen Mix von beidem geben. So ging es dann noch eine Weile weiter. 

Natürlich sei das ein sportliches Vorhaben, sagen die Herren noch,  man müsse die Ärmel hochkrempeln.

Draußen knallten  die ersten Knaller des Feuerwerks über der Alster, fast 23 Uhr.
 
Wichtige Fragen zum künftigen Ganztagsbetrieb sind noch immer nicht gestellt. Fragen, die Kinder und Eltern bewegen. Was ist mit Spiel- und Toberäumen, innen und außen, Ruhe und Rückzugsräumen, Kuschelecken, Abenteuerlichen Versteckmöglichkeiten, Matsch und Sandbergebau, Garten, Platz für Phantasie, sinnliche Erfahrungen, Geschicklichkeit, all das, was Kinder am Nachmittag zum „Lernen im Spiel“ anregt, alles, was Fachleute für gute Ganztagsschulen fordern?
 
Wann soll das alles gebaut werden in der neuen Ganztagsschulwelt von Senator Rabe? Brauchen Kinder für eine gesunde Entwicklung, für mehr Bildung und Seele nicht mehr als als Spülbecken, Fettabscheider und Sanitäreinrichtungen. Und: nicht der Ersatz von Ein-Euro Kräften in der Küche macht den Eltern die größten Sorgen, wo sind all die gutausgebildeten Erzieher (und Sozialarbeiter für Elternkontakt) für die versprochene „Chanchengleichheit“?
 
Respekt vor dem Durchhaltevermögen der Hamburger Abgeordneten. Aber jetzt war es auch Zeit für die letzte Zuhörerin auf den Pressebänken zu gehen.

Es steht fest: Alle Hamburger Grundschulen werden Ganztagsschule, auch weiterführende Schulen sollen Ganztagsschule werden

1 Sept

In den nächsten drei Jahren soll es einen „flächendeckenden Ausbau“ von Grundschulen zu Ganztagsschulen geben, „möglichst unter Beteiligung aller Grundschulen“ in Hamburg. Mit diesem Plan trat Schulsenator Rabe heute an die Öffentlichkeit.  Hamburgs Horte sollen dabei schrittweise durch Nachmittagsbetreung in Klassenzimmern abgelöst werden.  Seine Reform setze  bundesweit ein Schlaglicht, auf dem Weg, „Hamburg zur Kinder- und familienfreundlichsten Stadt Deutschlands zu machen“.

Die Schulen sollen sich nach den gemeinsamen Plänen des Schulsenators und des Sozialsenators Scheele künftig Hortträger suchen, die ihre  Erzieher dann nachmittags zur Betreuung  in die Schule schicken und als Träger für die Betreuung zustängig sein werden.  Die bisherigen Horträume sollen dem neuen „Krippenaufbauprogramm“ des SPD Senats zur Verfügung gestellt werden. Das Angebot der Nachmittagsbetreuung an den neuen Ganztagsgrundschule sei freiwillig, er rechne damit, dass  50 bis 60 Prozent der Grundschulkinder in Hamburg  an der neuen Ganztagsgrundschule teilnehmen werden, so Rabe. 

Schon bei der Vorgängerregierung gab es Kritik von Betroffenen, ob eine Verlagerung der Nachmittagsbetreuung von Horten in die Schule wirklich kinderfreundlich ist. Sie könne sich vorstellen,  dass sie als Mutter unzufrieden wäre, wenn sich Kinder nachmittags nicht mehr in den Räumen der  Horte  aufhalten könnten, meinte auch heute eine Journalistin. In Horten gebe es Tobe- und Spielplätze innen und außen, Ausweichräume für ruhige Minuten oder Hausaufgaben usw., die in Schulen fehlten. Jetzt müßten die Grundschüler stattdessen den ganzen Tag in ihren Klassenräumen und Schulen bleiben.

Senator Rabe  hatte für diesen Kritik wenig Verständnis, die Schüler seien doch auch vormittags in den Klassenräumen, erklärte er.

Die Betreuung von 13 bis 16 Uhr soll kostenlos sein, nur das Mittagessen müsse in der Regel von den Eltern bezahlt werden.  Ein Essen werde  3.50 am Tag kosten, insgesamt 70 Euro pro Monat, rechnete Schulsenator Rabe vor. Zusätzliche Betreuung werde in Frühstunden, nach 16 Uhr oder in den Ferien angeboten, das müßten allerdings die Eltern bezahlen. Dafür werde es eine soziale Staffelung nach Familieneinkommen geben, ebenso für das Essen. Insgesamt stelle der Senat für die Ganztagsgrundschule (GABS) 115 Millionen Euro bereit, 30 Millionen mehr als von der Vorgängerregierung geplant, sagte Rabe. Die Nachmittagsbetreuung an der Grundganztagsschule werde auf keinen Fall teurer als die jetzigen Hortgebühren. „Keiner zahlt mehr“ versicherte der Schulsenator. 

Dass sich jedoch einiges erheblich verschlechtern wird, wurde dann auf Nachfrage der Presse klar. Während im Hort  17 Kinder von einem Erzieher derzeit noch betreut werden, sollen es künftig in der Ganztagsschule  23 sein, in sozial belasteten Gebieten soll ein Erzieher 19 Kinder betreuen. Im Vergleich zu Horten ist dies ein erheblich schlechterer Betreuungsschlüssel.  Der im Übrigen nur eingehalten werden kann, wenn es genügend Erzieher gibt. Doch das ist keineswegs gesichert. Erzieher gehörten zu den Fachkräften, an denen es derzeit besonders mangele, man werde evtl auch auf Honorarkräfte, also nicht ausgebildete Hilfskräfte auf der Basis von Stundenhonoraren,  zurückgreifen.

„Eine schlechtere Betreuung sehe ich da nicht“, erklärte T. Rabe dazu. Es würden ja nicht immer alle Kinder an allen 5 Wochentagen in der Ganztagsschule sein und es gäbe noch Zusatzangebote wie Sprachunterricht und Förderung.

Ein Arguement, dass nicht überzeugte, denn dies dürfte wohl auch jetzt schon bei den Horten der Fall sein. Der Betreuungsschlüssel der Ganztagsgrundschulen ist also schlicht schlechter als im jetzigen Hort. Das Problem dürfte sich angesichts auch noch verschärfen. Die angesichts steigender Kinderzahlen, die nach Aussage der Senatoren künftig in der Ganztagsgrundschule nachmittags erwartet werden.  Sind derzeit noch  20 000 Kinder in Hamburger Horten und andern Einrichtungen, soll die Zahl der nachmittags in den Grundschulen betreuten Kinder auf 40 000 anwachsen. 

Vorgesehen sei eine zügige Einrichtung von Kantinen, meinte der Senator, derzeit würden die Grundschulen vermessen. Er sei aber darauf auch gefaßt, “ dass wir es nicht jedesmal zeitgleich mit den Beginn der Ganztagsbetreuung an Schulen schaffen werden.“

Flächendeckende Ganztagsschule will Rabe auch für ältere Kinder, erklärte er. Alle STadtteilschulen sollten zeitgleich mit den Grundschulen Ganzagsschulen werden.

Die Gymnasien seien ja jetzt schon Ganztagschulen, sagte Rabe, allerdings nur eingeschränkt, in der Regel an 2 bis 3 Tagen in der Woch. Für ein Programm der Gymnasien würden im Moment verschiedene Varianten von Ganztagsschule überlegt, speziell für die 5. und 6. Klassen brauche man „zusätzliche Lösungen“, das betreffende Geld müsse bereit gestellt werden.

Seine Reform, hielt Rabe fest, sei eine Verbesserung für Frauen und für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es gebe, fuhr er fort, eine große Lücke bei Fachkräften in HH, und „die Erwerbsquote von jüngeren Frauen sei nicht so hoch, wie sie sein sollte“. 

Eine Verbesserung sei seine Reform auch für die  zusätzliche Bildung für Kinder, deren Eltern dies „zuhause nicht anbieten können“. Dies diene damit einem alten Ziel der SPD, der  Chancengleichheit.

Fragt sich, wie die von Rabe geplante Ganztagsgrundschule dies leisten soll, angesichts des Mangels an Erziehern, deren Ausbildung wegen des Mangels jetzt verkürzt werden soll, angesichts des Einsatzes von Honorarkräften und angesichts des wenig attraktiven und anregenden Umfelds, in dem sich Kinder künftig am Nachmittag aufhalten sollen. 

Das Motto für seinen Ganztagsausbau sei „Quantität statt Qualität“ , hatte er kürzlich schon an anderer Stelle erklärt. Man könne eben nicht alles haben, so Rabe dazu gestern: Deutlich mehr Kinder in der Ganztagsschule, das müsse  bezahlbar sein.

Auf jeden Fall bringt diese Reform ein anderes altes Ziel der SPD in greifbare Nähe. Es war eben doch kein Witz von Olof Scholz, als er es damals klar nannte: „Die staatliche Lufthoheit über den Kinderbetten“