Karin Brose, 61, Studienrätin, war als Expertin für die CDU in der Enquete Kommission, auf deren Empfehlung das Zweistufenmodell aus Gymnasium und Stadtteilschule eingeführt wurde. Sie war lange Lehrerin der HR Schule Sinstorf und unterrichtet jetzt an der Stadtteilschule in Sinstorf (Harburg).
Seit einem Jahr gibt es in Hamburg die Stadtteilschule. Karin Brose hat als Lehrerin an einer Stadtteilschule im vergangenen September nach der Einführung der Stadtteilschule heftige Kritik an der Umsetzung, dem Mangel an Räumen und Personal geäußert. Wie sieht es jetzt ein Jahr später aus?
Kirschsblog: Zur Zeit wird in Hamburg kräftig um die Honorarkräfte gestritten, die einen Teil der Förderstunden an den Schulen leisten sollen, auch an den Stadtteilschulen. Gestern tagte deshalb sogar ein Sonder -Schulausschusses der Bürgerschaft. Dabei mußte sich Schulsenator Ties Rabe sehr kritischen Fragen stellen. Es geht um den rechtliche Rahmen für die Honorarverträge, Scheinselbstständigkeit und Sozialabgaben. Und es geht um die Bezahlung. Der Senator will 15.97 Euro pro Unterrichtstunde zahlen. Dies hat bei Lehrern Empörung ausgelöst, auch an den Nachhilfeinstituten:
Frau Brose: Kein Wunder. Dazu kommt ja die Schwierigkeit der neuen Regelung, dass die Schulen diese Institute, voraussichtlich gar nicht benutzen können. Es wäre aber günstiger, wenn man die Institute auch nutzen könnte, die ja schon in Schulen tätig sind. Wie zum Beispiel an den Ganztagsschulen. Meine Stadtteilschule ist jetzt Ganztagsschule geworden. Da gibt es ein Institut, das den Nachmittagsunterricht regelt, auch die Mittagsgestaltung und die hätten durchaus Kräfte, die den Förderunterricht übernehmen könnten. Das dürfen wir nicht nutzen, obwohl das schon in unserer Schule implantiert ist. Unsere Schulleitung soll sich jetzt selber um Honorarkräfte kümmern und diese nach Kräften auf dem Arbeitsmarkt suchen. Die bisherigen Aufgaben der Schulleitungen werden also noch um diese zusätzliche Aufgabe erweitert. Ich weiß nicht, wo dann die Kernaufgaben bleiben, dass können die gar nicht erledigen. Das heißt, unsere 10. Klassen, die jetzt vor dem Abschluss stehen, die Förderbedarf haben und dringend auf Förderung warten, damit sie diese 10. Klasse nicht wiederholen müssen, werden wahrscheinlich gar nicht mehr in den Genuss dieser Fördermaßnahmen kommen, weil sich alles derartig hinauszögert, dass eine Förderung nicht greift.
Kirschsblog: Sie sind also der Meinung, dass das, was jetzt für die Förderung vorgesehen ist, so nicht ausreicht.
Frau Brose: Richtig. Das muss ganz anders finanziert sein. Es muss den Schulen auch überlassen bleiben, wie sie das machen.
Kirschsblog: Das heißt, Sie sind der Meinung, man sollte auch durchaus die Institute einbeziehen, die bei Ihnen ja schon tätig sind.
Frau Brose: Ich denke, dass das günstig wäre. Denn wenn so eine Institution in der Lage ist, eine Mittagsgestaltung zu machen und einen Nachmittagsunterricht für Klassen 5, 6, 7durchzuführen, usw. dann sind die auch in der Lage, Nachhilfelehrer für größere Schüler zu stellen.
Kirschsblog: Die Kosten für die Stunden an Nachhilfeinstituten liegen nach der Recherche von Kirschblog aber deutlich über EUR 15,97.
Frau Brose: Ja, natürlich und das ist letztlich auch eine arbeitspolitische Frage. Wenn Senator Rabe sagt, dass da die ehemaligen Lehrer wieder in den Schuldienst kommen sollen und ein Anschreiben losschickt, halte ich das für eine Zumutung. Man reaktiviert ehemalige Lehrkräfte und neue Arbeitsplätze werden nicht geschaffen. Das ist ja idiotisch. Das kann man schon aus Solidaritätsgründen gar nicht machen.
Kirschsblog: Sie hatten im letzten Jahr eine Reihe von weiteren Missständen an der Stadtteilschule kritisiert. Wie hat sich die Lage aus Ihrer Perspektive als Lehrerin einer Stadtteilschule nun entwickelt?
Frau Brose: Die Lage ist speziell an meiner Schule nach wie vor brisant, da wir an 3 Standorten tätig sind. Da wir trotz Antrag in den Baumaßnahmen nicht berücksichtigt worden sind, werden wir wahrscheinlich noch die nächsten 5 Jahre und länger an 3 Standorten sein. Das heißt unsere Oberstufe ist ein ehemaliges Aufbaugymnasium. Die arbeiten dort auch weiter wie ein Aufbaugymnasium, andere Lehrer unterrichten dort ganz sporadisch, und nur wenige Lehrer von dort unterrichten bei uns.
Kirschsblog: Das heißt, die Lehrer ihrer Stadtteilschule reisen von Standort zu Standort?
Frau Brose: Ja!. Manche arbeiten an drei Standorten, manche arbeiten an zwei Standorten und wenige Glückliche müssen nur an einem Standort arbeiten.
Kirschsblog: Wie ist denn da die Zusammenarbeit. Kann man sich unter solchen Umständen z.B. absprechen.
Frau Brose: Ganz schwierig. Wir haben jetzt Jahrgangskonferenzen eingerichtet, die regelmäßig tagen müssen. Auch um sich zu koordinieren. In naher Zukunft wird für die Jahrgangsprecher auch eine Gesamtkoordinationskonferenz angesetzt, klassenübergreifend. Da ist das, was installiert wurde, auf mein Betreiben hin. Aber insgesamt sind Absprachen ganz schlecht zu treffen. Der Schulleiter ist auch nur sporadisch anwesend. Jede Schule hat eine Abteilungsleitung, die unter diesen Umständen aber auch nicht wirklich gut koordinieren kann. Die Sekretärinnen sind überlastet.
Kirschblog: Wie könnte das in Ihren Augen besser laufen.?
Frau Brose: Besser geht das so in dieser Form überhaupt gar nicht. Besser geht es nur an einem Standort.
Kirschsblog: Das Problem der getrennten Standorte haben ja auch Stadtteilschulen in anderern Stadtteilen, Beispiel Altona. Wie sieht es nun aber, ein Jahr nach dem Start der Stadtteilschule, mit dem Personal aus? Sie hatten vor einem Jahr kritisiert, die versprochenen Sozialpädagogen seien in den Stadtteilschulen nicht angekommen.
Frau Brose: Wir haben an unserer Schule zwei Sozialpädagogen bekommen, bei gut 1100 Schülern. Sie sind aber beide an der Grundstufe, in Klasse 5 bis 8 tätig, wo sich die Zustände auch zuspitzen. Wir haben dort in letzter Zeit die sonderbarsten Erscheinungen, wie wir sie in unserem Standort in Sinstorf niemals hatten. Da wurde eine Sozialpädagogin schon von einem Schüler der Klasse 5 angespuckt und es entwickelt sich das Gefühl, dass man langsam zur Ghettoschule wird.
Kirschsblog: Wie erklären Sie sich diese Zuspitzung?
Frau Brose: Die Schüler dort gehen in eine Schule, in die sie eigentlich nicht gehen wollen. Das ist für mich die Erklärung, denn wir haben ja sämtliche Schüler der Schule umgetopft, aus ihrem Wohngebiet heraus an einen ganz anderen Standort. Sie müssen dorthin gehen, sind aber nach meinem Eindruck ungerne dort, wollen es gar nicht.
Kirschsblog: Sie sind also künstlich weg versetzt.
Frau Brose: Es ist schlimmer, wir haben quasi zwangsverpflichtete Schüler. In unserer sehr weit abgelegenen, verkehrstechnisch ungünstigen Schule, ohne Busanschluss, haben wir nur 37 Anmeldungen, denn da will keiner hin. Der Rest wurde auf eine Zahl von 110 Schülern aufgestockt. Es sind Schüler aus anderen Schulen, die dort abgelehnt worden sind oder über waren. Denn die Stadtteilschule im Zentrum von Harburg ist sehr beliebt. Sie gibt die Schüler, die sie nicht haben will, sozusagen an uns ab. Das heiß, sie werden „umverteilt“.
Kirschsblog: Elternklagen zufolge scheint dies kein Einzelfall zu sein. Es soll auch an anderen Stadtteilschulen keinen Platz mehr gegeben haben, so dass Kinder auch dort auf eine andere Schule gehen mussten.
Frau Brose: Ja, das ist üblich. Es geht dann nach Wohnortnähe und dementsprechend werden Schüler den anderen Stadtteilschulen zugeordnet. Das kam früher in Einzelfällen auch vor, jetzt ist es massiv. Die Eltern sind dann zum Teil unwillig, und die Schüler ebenso. Was z.B. dazu führte, das unser Schulkleidungsprojekt (gemeint ist das Projekt gemeinsamer Schulkleidung an einer Schule) darunter leidet. Das hat sich alles sehr negativ entwickelt.
Kirschsblog: Helfen Ihnen da die Sozialpödagogen?
Frau Brose: Das kann ich noch nicht beantworten, weil ich nicht weiß, wie unsere beiden Sozialpädagogen eingesetzt werden. Die wissen das selber noch nicht so richtig. Ich hatte ein Gespräch und habe auch Bedarf für unseren eigenen 2. Standort angemeldet. Denn wir haben Förderschulklassen, die bei uns jetzt zum Hauptschulabschluss kommen, nicht im klassischen Sinn von Inklusion. Aber es gibt einige wenig integrierte Schüler, die z.B. andere Schüler provozieren und Probleme erregen, für sich selbst und für die anderen. Auch da müsste im Grunde ein Sozialarbeiter und Sozialpädagoge kommen, koordinieren und helfen. Besser wären sogar Sonderpädagogen.
Kirschsblog: Würde da eine Teilung der Klasse helfen, oder ein zweiter Pädagoge in der Klasse?
Frau Brose: Innerhalb der Klasse ist das kein Problem, weil das ja eine relativ homogene Förderschulklasse ist. Aber auf dem Schulhof haben wir die Probleme. Kinder werden gemobbt. Und das ist in jedem Jahrgang das gleiche. Denn es kommen ja an unserem Standort immer wieder neue 9. Klassen und dann geht es immer wieder los. Sie müssen sich erst einmal neuen Raum schaffen. Dann kommen die Ellenbogen raus. Ja, wie es eben so ist, wenn man sich neu einfindet. Wenn die Schüler bei uns mit Klasse 10 fertig sind, dann gehen sie wieder an den neuen Standort..
Kirschsblog: Die Oberstufen der Gesamtschulen haben ja jetzt in dem neuen Kessstudie der 11. Klassen ziemlich schlecht abgeschnitten. Wie erklären Sie sich das denn?
Frau Brose: Ich denke, das hat mit der Klientel zu tun und mit den Zulassungsbestimmungen. Bisher brauchte man eine 3,0 als Durchschnittszensur in den Hauptfächern und ich bin sicher, dass das zu wenig ist.
Kirschsblog: Herr Rabe hat jetzt erklärt, dass man höhere Anforderungen stellen will.
Frau Brose: Davon gehe ich aus. Ich glaube, hier ist noch ganz viel Elternwille und Elternträumerei dabei. Vor allem bei unseren Emigrantenkindern ist das so, dass sich Kinder ohne entsprechende Bildung und Wissen irgendwie durch Fleiß auf diese 3 hocharbeiten und dann ins Gymnasium kommen. Manche sind da einfach überfordert, jedenfalls in dieser Art Gymnasium. Das funktioniert so nicht.
Kirschsblog: Vor einem Jahr hatten Sie auch die Binnendifferenzierung kritisiert, die an den Stadtteilschulen gilt, anstelle einer Außendifferenzierung in Kursen wie früher bei den Gesamtschulen. Wie funktioniert das mittlerweile?
Frau Brose: Binnendifferenzierung ist jetzt Pflicht, d.h. wir sollen auf drei Niveaus unterrichten. Nun ist die Frage, wie man bei voller Stundenzahl für jedes einzelne Kind in jeder einzelnen Unterrichtsstunde eigene Anforderungen schaffen soll. Gehen wir einmal davon aus, ein Lehrer hat 28 bis 29 Stunden in der Woche und vielleicht 5 Fächer, was bei uns üblich ist. Es reduziert sich also in den meisten Fällen auf die so genannte „natürliche Binnendifferenzierung“, die so abläuft, dass Kinder nach ihrem eigenen Vermögen eine Menge Arbeit erledigen oder eben weniger. Natürlich versucht man schon, schwierigere oder anspruchsvollere Aufgaben dabei zu haben.
Kirschsblog: Gibt es denn dafür irgendeine Hilfe oder Lehrmaterial, die diese Differenzierung erleichtern?
Frau Brose: Das ist immer noch zu wenig. Es gibt Anbieter dafür, das fängt jetzt an, aber wir haben dafür noch viel zu wenig, d.h. in den Lehrbüchern ist das noch zu wenig geregelt. Hinzu kommt ja auch die Schwierigkeit, dass für manche Klassen die adäquaten Lehrbücher gar nicht vorhanden sind, bei uns z.B. in Beispiel Englisch. Wir arbeiten mit einem Hauptschulbuch in der Realschulklasse. Weil das Englischbuch R nicht vorhanden war.
Kirschsblog: Wie funktioniert unter diesen Umständen die Binnendifferenzierung denn nach der einjährigen Erfahrung?
Frau Brose: Ich kann nur von meiner eigenen Erfahrung sprechen und ich habe das Glück, meine Schüler seit Klasse 5 zu führen. Das ist jetzt meine Klasse 10. Darunter waren nur drei Hauptschüler, die im letzten Jahr rausgegangen sind, was eine kleine Zahl ist. Die übrigen 25 machen jetzt den Realschulabschluss. Den werden auch alle schaffen.
Kirschsblog: D.h. Sie haben persönlich in Ihrer Klasse ein gutes Ergebnis.
Frau Brose: Ich habe ein gutes Niveau, weil ich immer auf mittlerem Niveau unterrichte und weil ich inzwischen aufgrund der pädagogischen Leistung oder aufgrund des pädagogischen Zusammenhaltes, der sich gefunden hat, auch in der Lage bin, stärkere Schüler als Hilfen für schwächere Schüler einzusetzen. Die machen das alleine.
Kirschsblog: Das klingt ja sehr gut. Nun haben aber gerade Stadtteilschulleiter geklagt, dass einige Lehrer an den Rand der Verzweiflung geraten, weil in den Klassen einfach zu unterschiedliche Kinder sitzen und es sehr schwierig wird.
Frau Brose: Nun, ich habe auch noch eine Fachklasse 10, in der ich Deutsch, Arbeitslehre und Sport unterrichte. Sie wurde aus 2 Restklassen zusammengesetzt, weil jeweils eine halbe Hauptschulklasse im Sommer weggegangen ist. Diese Klasse hat genau 4 deutsche Kinder. Der Rest hat Migrationshintergrund. In der Klasse ist auf Hauptschulniveau unterrichtet worden. Nicht auf Realschulniveau, so dass wir jetzt in der 10. Klasse, die jetzt ihren Abschluss machen soll, große Schwierigkeiten haben. Und da ist mit Differenzierung auch gar nichts zu wollen, weil da eben wenig vorhanden ist und das Schülerverhalten ein übriges tut. Da müssen jetzt erst einmal neue Ellbogen- und Hackordnungen ausgetragen werden und wir müssen sehen, wie wir innerhalb dieses letzten 3/4 Jahres bei den Schülern noch eine gewisse Bildung anlegen.
Kirschsblog: Wie funktioniert denn die Binnendifferenzierung in den Klassen, die in der Stadtteilschule schon ab Klasse 5 ohne Unterscheidung von Haupt-, Realschule und Gymnasium neu anfangen?
Frau Brose: Sehr gemischt. Es mag sein, dass Binnendifferenzierung funktioniert, wenn man Schüler von klein auf daran gewöhnt hat, dass sie eigenverantwortlich sind, d.h. dass sie verantwortlich für das sind, was sie lernen. Ich weiß allerdings nicht, ob es mit der Klientel der ehemaligen Haupt- und Realschulen funktionieren kann, dass sie so eigenverantwortlich sind. Denn viele unserer Schüler sind es ja gewohnt, dass man Ihnen sagt, was sie tun sollen. Es sind eben nicht Gymnasialkinder, bei denen vielleicht mehr Intellekt, mehr Intelligenz, auch meistens mehr Elternhaus vorhanden ist. Sie verfügen über mehr Bildungsnähe und das Bewusstsein, „ach, das brauch ich, das ist wichtig“. Wenn ein Kind dieses gar nicht mitbringt, dann ist es eben auch schwierig für dieses Kind eigenverantwortlich zu arbeiten, es fragt sich dann sich eher, „wozu soll ich das eigentlich machen“. Ich glaube deshalb nicht, dass man mit Binnendifferenzierung alles erledigen kann. Meiner Ansicht nach, ich bin da sehr strikt, wäre das Sachsener Modell besser geeignet. Dort gibt es zwei getrennte Züge, den Realschulzug und den Hauptschulzug. Eine ähnliche starke Außendifferenzierung wäre auch bei uns viel günstiger gewesen, d.h., dass man innerhalb einer so genannten Stadtteilschule drei Züge hat, in denen man dann die Kinder in homogenen Gruppen unterrichten kann.
Kirschsblog: . Also Realschulzug, Hauptschulzug und daneben noch einen Gymnasialzug?
Frau Brose: Ja, ich würde sagen, man muss drei Züge haben, denn die Gymnasiasten sind ja auch noch da. Ihre Leistungen sind, wie wir jetzt gesehen haben, teilweise sehr schlecht ausgefallen. Damit sie besser werden, muss man sie gesondert fördern. Nur, das kostet auch wieder Geld. Die Lerngruppe darf maximal 20 Schüler haben.
Kirschsblog: Diese Außendifferenzierung gibt es an Hamburger Stadtteilschulen nicht, dafür soll es aber den Förderunterricht geben, z.B. bei Kindern, die früher sitzen geblieben wären, wenn sie Schwierigkeiten in einem besonderen Fach haben. Abgesehen von der Frage der Honorare, gibt es bei Ihnen jetzt schon eine funktionierende Förderung?
Frau Brose: Ich unterrichte im Moment in drei 10. Klassen, da gibt es keine Förderung für alle Fächer. Nur in Physik und Chemie werden unsere Zehntklässler 2 Stunden in der Woche ergänzend unterrichtet, weil sie in den vergangenen Jahren nur Natur und Technik unterrichtet bekommen haben. Da sie in der Oberstufe andere Dinge brauchen, versucht man jetzt, das ein bisschen zu unterfüttern, auf dringenden Wunsch der Eltern hin. Dafür sind diese 2 Stunden Physik und 2 Stunden Chemie eingerichtet worden. Diese Stunden liegen dann am Freitag in der 9. und 10. Stunde, nachdem einige vorher schon 2 Stunden Physik hatten. Das ist natürlich ungünstig. Darüber hinaus müssen diese Schüler noch von unserem Standort zum nächsten Standort fahren. Der Weg dauert eigentlich 29 Minuten, sie haben aber nur 15 Minuten Zeit. Ansonsten gibt es keinen Förderunterricht, denn die Schule hat, zumindest für die Sekundarstufe 1, also für die Schüler ab 9 und 10, noch gar nicht angefangen, Honorarkräfte zu suchen. Und die Suche nach Honorarkräften überfordert, wie gesagt, die Schulen.
Kirschsblog: Wie sollte denn der Förderunterricht ausgebaut werden, damit es funktioniert? Was würden Sie sich wünschen?
Frau Brose: Wenn, dann muss Förderunterricht am eigenen Standort stattfinden. Schön wäre, er würde in den Unterricht integriert.. Das kann alles nicht am Abend liegen. Stattdessen sollte man es machen wie die Finnen; die Schüler, die Schwierigkeiten haben, aus dem Unterricht rausnehmen und sie parallel fördern. D.h. wenn ich fünf 10. Klassen habe, wie das bei uns jetzt gerade der Fall ist, dann kann ich aus fünf 10. Klassen die schwächsten Mathematiker herausnehmen, wenn der Mathematikunterricht gleichgeschaltet ist, und zu der Zeit kann ein unterfütternder Unterricht laufen . Und wenn die Schüler den Stoff verstanden haben, können sie zurück in ihre Gruppen.
Kirschsblog: Also, die Stadtteilschulen haben demnach im Prinzip drei Probleme. Die Aufsplitterung in verschiedene Standorte, Probleme mit der Binnendifferenzierung und Probleme mit der Förderung.
Frau Brose: Was ich noch erwähnen möchte, ist, dass wir 3 Arten der Zensierung haben. Denn wir haben ja im Moment neben den neuen Stadtteilschulklassen noch die Klassen der alten Schulformen. Einige Klassen werden von 1 bis 6 zensiert, andere nach H und R-Noten und einige Klassen werden neuerdings nach G und E-Noten bewertet.
Kirschsblog: Hinzu kommt das Thema Inklusion. Es gab in der letzten Wochen einen regelrechten Aufschrei der Stadteilschulleitungen in der Öffentlichkeit. Wie erleben Sie das in Ihrer eigenen Praxis?
Frau Brose: Ich habe in meiner Klasse ein schwer behindertes Kind. Wir haben Inklusion also im Grunde schon seit ganz langer Zeit. Das geht mit Elternmitarbeit. Wir waren jetzt gerade auf Klassenreise in Spanien. Die Mutter des Kindes war natürlich mit, das funktioniert in Einzelfällen, das funktioniert sicher nicht immer. Ich habe auch mit anderen Eltern gesprochen, die behinderte Kinder haben, und die sagten mir, sie hätten es für ihr Kind nicht gewollt, weil diese Kinder sich in ihrem Schutzraum mit anderen behinderten Kindern einfach sicherer fühlen.
Kirschsblog: Die Schulleiter fordern, die Inklusion muss in Form der alten Integrationsklassen weiterlaufen, nämlich mit Doppelbesetzung, also zwei Lehrkräften.
Frau Brose: Richtig. Auf einer Lehrerfortbildung wurde vor einiger Zeit geschildert, was alles zu tun wäre: Da müssen Kinder auch gewickelt werden, manche nässen ein, andere koten ein, mitten im Unterricht. Eine Lehrkraft hat gefragt, wer das alles machen soll, wer das regeln soll, das Kind muss ja auch gewickelt werden. „Ja das machen Sie natürlich“, hieß es dann. Die Lehrerin fragte daraufhin, wie sie das machen solle, ich „lass meine Klasse allein, geh raus, wickel ein Kind, ich bin dafür auch nicht ausgebildet“. Da wurde dann ganz profan gesagt, ja, „dafür sollten sie sich aber nicht zu schade sein“.
Kirschsblog: Was fordern Sie also? Wie kann die Stadtteilschule Inklusion leisten, was wäre dafür erforderlich?
Frau Brose: Nur ausschließlich mit Doppelbesetzung. Es muss immer eine Sozialkraft dabei sein, die hilft.
Kirschsblog: Gefordert wurde auch, die Anzahl der Kinder pro Klasse zu begrenzen.
Frau Brose: Es kommt darauf an, welche Art Behinderung die Kinder haben. Wenn es verhaltensauffällige Kinder sind, oder verhaltensgestörte Kinder, dann reicht einer und der Unterricht ist zu Ende. Wenn es sich um „körperbehinderte Kinder“ handelt, können auch 10 in einer Klasse sein und es funktioniert.
Kirschsblog: Wie lautet also insgesamt ihre Zwischenbilanz für die Stadtteilschule?
Frau Brose: Uns wurde immer gesagt, es sei ein pragmatisches Jahr, wir machen das irgendwie. Und ich habe das Gefühl, dieses pragmatische Jahr wird sich auf ein pragmatisches Jahrzehnt ausdehnen, wenn es nicht bald anders wird. Weil einfach so vieles jeden Tag spontan entschieden werden muss und teilweise auch anders nicht zu lösen ist.
Kirschsblog: Und Ihre Forderung? Was müsste am aller dringendsten getan werden, um die Lage der Stadtteilschulen zu verbessern?
Frau Brose: Man muss genau hinschauen, wo der Bedarf der jeweiligen Schule liegt. Es wurde hier ein System, eine Schulstruktur, einfach aufgepropft. Alles soll gleichzeitig passieren. Die Lehrer sollen gleichzeitig Lehrpläne entwerfen, neue Didaktiken ausprobieren, im Grunde also alles gleichzeitig. Es ist so, als Bild gesehen, als wenn wir ein Kreuzfahrtschiff auf große Fahrt schicken, mitsamt allen Passagieren an Bord, und die wollen sich vergnügen und währenddessen wird das gesamte Schiff renoviert.
Kirschsblog: Was sind denn hierzu Ihre Hoffnungen für die Zukunft?
Frau Brose: Ich glaube einfach, das ist meine ganz persönliche Meinung, dass das so in dieser Form nicht durchführbar ist. Dass es auf Kosten der Kinder und auf Kosten der Lehrkräfte geht und letztlich ein Schuss nach hinten ist. Ich glaube auch nicht, dass man das Niveau so halten kann.
Kirschsblog: Aber die Struktur, die Stadtteilschule ist jetzt da. Sie lässt sich nicht rückgängig machen. Was kann man jetzt tun?
Frau Brose: Man hat ja die Freiheit, das innerhalb der Schulen selbst zu gestalten. Und wenn diese Freiheit seitens der Behörde auch zugelassen würde, d.h. den Schulleitungen bei der Umsetzung mehr Gestaltungsspielraum überlassen würde, so dass die Schulen eigenverantwortlicher entscheiden könnten, z.B. in der Frage der unterschiedlichen Züge, wie in Sachsen, wenn dies alles im Dialog geschehen würde und darüber hinaus mit mehr Lehrern und Sonderschulpädagogen, wäre ein Gelingen der Stadtteilschule wohl möglich.