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Das Abi wird voraussichtlich schwerer und die Profiloberstufe muß „nachjustiert“ werden: Ties Rabe und das Zentralabitur

25 Mär

Viele Eltern und Schüler sind keineswegs begeisterte Anhänger der erst vor drei Jahren eingeführten Profiloberstufe, aber sie wünschen sich keine neuen Reformwirren an ihren Schulen: Doch genau das kommt nun auf sie zu  – mit den bundeseinheitlichen Aufgaben für das Abitur, die die Kultusministerkonferenz unter ihrem neuen Präsidenten, Schulsenator Ties Rabe beschlossen hat: Bis 2017 sollen bundesweit schrittweise für das Abitur in sieben Fächern zentrale Aufgabenpools eingeführt werden. Außerdem soll es in Hamburgs Schulen schon ab 2014 ein Zentralabitur in 18 Fächern geben. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass ein bundeseinheitliches Abitur nicht leichter wird“ erklärte dazu Ties Rabe an diesem Wochenende in einem Interview in der WELT AM SONNTAG. Zwar werde die Profiloberstufe „Bestand“ haben, so Ties Rabe weiter, allerdings nicht ganz in der Form, wie sie jetzt an vielen Schulen praktiziert wird. http://www.welt.de/print/wams/vermischtes/article13944801/Leichter-wird-das-Abitur-nicht.html

Damit werden sich viele Kritiker bestätigt fühlen, die gewarnt hatten, dass das Zentralabitur eine Gefahr für die neue Profiloberstufe sei und dass beide nicht miteinander vereinbar seien. Gerade drei Jahre alt ist die Profiloberstufe, mit der das bis dahin gültige Kursystem mit Leistungskursen in der Oberstufe abgelöst wurde, mit dem Ziel einer neuen „fächerübergreifenden und projektorientierten Arbeit in Profilen.  Das Zentralabitur stehe mit diesem fächerübergreifenden Konzept der Profiloberstufe in „absolutem Widersprich“ so die Kritiker, darunter 13  Oberstufenkoordinatoren von Stadtteilschulen.

Dem widersprach Schulsenator Ties Rabe in dem Interview in der WELT: „Von der Anlage her“ seien zentrale Prüfungen „durchaus mit der Profiloberstufe vereinbar“, so Rabe. Die zentrale Prüfungsaufgabe beziehe sich nur auf „50 Prozent des Fachunterrichts, nämlich die sogenannten Kernthemen, die ohnehin alle Schulen unterrichten müssen“ erklärte Rabe.  Verbindliche Kernthemen, die in den Lehrplänen stehen, habe es auch bisher in jedem Fach gegeben.  

Ganz anders sehen das die Kritiker. Mit dem Zentralabitur bliebe nur noch ein “Bruchteil für die Arbeit in den Profilen“, so zB. in der vergangenen Woche in der TAZ Helge Pepperling, Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes Hamburg (DLV) http://www.taz.de/Oberstufen-Reform/!89881/. Die vielen Stunden für die Entwicklung und Erprobung der Profiloberstufe seien damit „Makulatur“.  http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article13929917/Profiloberstufe-in-Gefahr.html „

Einige Schulen  müssten ihre Profiloberstufen „nachjustieren“, räumte Ties Rabe jetzt in dem Interview ein. Einige Schulen hätten allerdings auch „bestimmte Bildungsinhalte…sehr frei“ festgelegt und in der Anfangsphase experimentiert. „Das Missverständnis“ liege darin, dass „einige glauben, mit den Profilen könnten sie im Unterricht machen, was sie wollen“. Jetzt gehe aber darum, sich auf das „Wesentliche zu konzentrieren“. Man könne die Kernthemen in den Profilen auch weiter fächerübergreifend unterrichten, so Ties Rabe weiter,  sie müßten allerdings „im Unterricht vorkommen.

Die „meisten Schüler und Eltern“ , so ergänzte Ties Rabe, hätten bisher nicht „das Gefühl“, dass“ in allen Schulen die gleichen Maßstäbe angelegt würden. Er wisse zwar nicht, wie groß der Niveauunterschied bisher sei, das Niveau solle aber künftig in allen „Abiturfächern auf gleicher Höhe sein“, bei klaren Leistungsstandards für alle Schulen, von Stadtteilschule bis Gymnasium. Er glaube, so Ties Rabe in dem Interview, „dass man das Leistungsniveau auf diese Weise auch verbessern“ könne. Mit zentralen Aufgaben könne man vermutlich besser „qualitätssteuernd auf den Unterricht zurückwirken“ als mit Bildungsplänen, sagte Ties Rabe.

Zweifel an dieser Wirkung des Zentralabiturs hat der Düsserdorfer Bildungsforscher Rainer Bölling.  „Auch ein Zentralabitur bürgt nicht für Qualität“, hatte er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung  schon vor einem Jahr erklärt  und ähnlich auch in der letzten Woche: Zwar erhofften sich „drei Viertel der Bevölkerung von einen bundeweiten Zentralabitur eine höhere Vergleichbarkeit  schulischer Abschlüsse und mehr Gerechtigkeit bei der  Vergabe von Studienplätzen“.  Doch im heutigen System der gymnasialen Oberstufe werde höchstens ein Viertel der Gesamtqualifikation durch zentrale schriftliche Prüfungen ermittelt, der größte Teil der Abinote werde dezentral ermittelt, zwei Drittel entfielen auf die Kursnoten in den Jahrgängen 11 und 12, dazu käme die dezentrale mündliche Prüfung. :“Wenn „die Abiturnoten bis auf die Stelle nach dem Komma vergleichbar sein sollen, müsste eine völlig andere Oberstufenordnung eingeführt werden, in der allein die Ergebnisse der zentralen schriftlichen Prüfungen zählen“, so Bölling.  FAZ, 15. März, S.8.

Ein solches System mit rein zentralen Prüfungen gebe es  zB. im Frankreich, mit dem französischen Abitur, dem „ Baccalaureat“  Aber „Frankreichs Zentralabitur ist kein Vorbild für Deutschland“, meint Bölling. Seine Begründung: Das französische System führe „zu einer starken Überbetonung reproduktiven Lernens und der Ausblendung all jener Anforderungen und Fähigkeiten, die sich einer standardisierten und punktuellen schriftlichen Überprüfung entziehen“.http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/campus/hochschulreife-auch-ein-zentralabitur-buergt-nicht-fuer-qualitaet-1590722.htmlDazu gehören, so Bölling, mündliche Mitarbeit, Selbsterarbeiten von Referaten, Teamfähigkeit, etc.

Außerdem seien die Bewertungen nicht immer gleich, erklärt Bölling: Korrigierenden Lehrer würden nicht selten von regionalen Schulinspektoren zu einer „wohlwollenden Bewertung gedrängt, um die Erfolgsquote zu verbessern. 2010 erwarben in Frankreich etwa zwei Drittel des Jahrganges eine Studienberechtigung. Dass sie längst nicht alle die Voraussetzungen für ein Hochschulstudium mitbringen, hat der ehemalige Präsident der traditionsreichen Sorbonne in Paris, Jean-Robert Pitte, 2007 in einer Streitschrift mit dem Titel „Stopp dem Abi-Schwindel!“ beklagt. Pitte steht mit seiner Kritik am französischen Abitur nicht allein, und es spricht wenig dafür, es als Modell zu übernehmen“ so schildert Bildungsforscher Bölling die Situation in Frankreich.

Rainer Bölling weist schließlich auf noch eine Besonderheit hin. Beim Zentralabitur gebe es eine auffällige Steigerung von guten Noten, sowohl in NRW, Bayern wie auch Berlin. Es gebe keine fundierte wissenschaftliche Untersuchung über die Ursachen, aber eine mögliche Erklärung sei, „ dass zentrale Prüfungen standardisierte Anforderungen auf mittlerem Niveau begünstigen und allgemeinen Kompetenzen wie Lesefähigkeit größeres Gewicht einräumen als fachlichem Wissen und Können“. Was auch immer die Ursachen seien, so Bildungsforscher Bölling abschließend„ man sollte sich nicht der Illusion hingeben, die Fähigkeiten junger Menschen allein aufgrund standardisierter schriftlicher Prüfungen bis auf Stellen hinter dem Komma verlässlich beurteilen zu können“.