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Ties Rabe bleibt von Kritik ungerührt: Fünf Stunden Ausschusssitzung zum Thema Ganztagsschule und Inklusion

24 Mai

Ties Rabe redet. Er redet lange, fast drei Stunden. In Sätzen, die wie gedruckt klingen. Er baut ganze Welten voller perfekter Sätze, voller perfekt klingender Zahlen, perfekter Erklärungen. Seine Botschaft: „Unter seiner Regierung“ ist alles besser als je zuvor.  Beispiel, die  Ganztagsschul-Reform. Eltern seien dankbar und zufrieden, das habe eine erste „Studie“ gezeigt,  Schulen meldeten sich reihenweise „freiwillig“ zur Umwandlung in Ganztagsschulen  an, das Tempo sei „einmalig“. Die Vorgängerregierungen hätten 20 Jahre für 50 Ganztagsschulen gebraucht,  „wir schaffen in drei Jahre 150 …selbst ostdeutsche Länder kommen da nicht mit“. Beispiel: Sein Inklusionskonzept: Er habe 2010 die Inklusion „wachgeküßt“. Sein Konzept  werde „bundesweit bewundert“, Hamburg werde „künftig für die Inklusion die beste Personalausstattung aller Bundesländer haben“.

Der Saal ist überfüllt, viele stehen. Eltern haben Flugblätter mit Mängel- und Forderungslisten zur Ganztagsschule verteilt, Gewerkschafter dicke Broschüre mit Kritik an der „Baustelle Inklusion“ herumgereicht. Sozialsenator Detlef Scheele und der Schulsenator  antworten auf Fragen von Abgeordneten von Schul- und  Jugendausschuss. Detlef Scheele spricht kurz. Ties Rabe holt immer wieder weit aus. Alle Kritik soll, so scheint es, an den perfekten Wortwelten des Schulsenators abprallen.  Wird trotzdem kritisch nachgefragt, fallen Ties Rabes Antworten oft ironisch oder zynisch aus. ZB. bei Kritik an der Ganztagsschule

Thema Ganztagsschule

Fast alle Zuhörer im Saal 501 des Rathauses hatten ein buntes Flugblatt in der Hand, auch einige Politiker: „ganztägig, besser, sorgfältiger“,  stand darauf. In 22 Punkten haben Eltern und Erzieher ihre Kritik und Forderungen zur Qualität und Ausstattung von Ganztagsschulen zusammengefasst: fehlende Ruhe-, Rückzugs- und Kursräume, zu wenig Erzieher und Bezugspersonen, ein unzureichender Betreuungsschlüssel, der Qualitätsstandard der Ganztagsschulen sei schlechter als bisher in den Horten, die, das betont Ties Rabe auch heute noch einmal,  bis 2015 geschlossen werden. Selbst Aufwärmküchen seien nicht ausreichend vorhanden, und ihr Ausbau verzögere sich, oder sei „nicht einmal geplant.“  

Er wundere sich, so Ties Rabe dazu im Schulausschuss, über die Kritik der „Oppositionsparteien“. Diese erweckten den Eindruck, dass es keine Ganztagsschule ohne Kantine geben dürfe“. Es gebe in Hamburg aber 30 Schulen, die schon seit Jahren als Ganztagschulen  liefen, die aber keine Kantinen hätten. Das sei sicher nicht gut und wünschenswert, aber „jetzt zu tun, als ob es nicht sein dürfe“, verkenne „doch die Praxis der letzten Jahre“ und setze „Maßstäbe an, die nicht üblich waren“. Mit dem Zubau-Volumen von 100 Millionen Euro könnten 120 Kantinen gebaut werden. Die Hälfte der Kantinen werde rechtzeitig zum Start der Ganzschulen fertig. Die andere Hälfte,  so wurde damit klar, wird ohne Kantinen starten müssen. Diese Schulen solllen  in einer „Übergangslösung“ von Caterern mit Essen und Geschirr versorgt werden , räumte Ties Rabe ein. Der Bau von Produktionsküchen, in denen Essen frisch gekocht wird, und die zB. die schulpolitische Sprecherin der Grünen, Stefanie von Berg fordert, sei „neben der Wirklichkeit“. Sie seien mit 1,5 bis 1,8 Millionen Euro viel zu teuer.

 Das aufgewärmte  Caterer – Essen habe keineswegs schlechte Qualität. Viele Schüler, so zB auch seine Tochter, nähmen zwar derzeit nicht am Schulessen teil. Er habe aber die „berechtigte Hoffnung,  dass bei uns eine andere Esskultur hochwächst“,  wenn Schüler von klein auf an Kantinenkost in der Schule gewöhnt würden. Als der schulpolitische Sprecher der CDU Fraktion, Robert Heinemann , die Verwendung der PR Floskel „Esskultur“ für die  „Pampe“ in Kantinen bemängelte, erwiderte der Schulsenator: Bei Senioren nähme man Essen dieser Art doch auch selbstverständlich hin.

Christiane Blömeke von den Grünen zeigte sich mit dem Ganztagskonzept des Senators insgesamt zufrieden, „Gewinnerkinder“ seien Kinder „nicht berufstätiger Eltern“. Es gebe aber noch kritische Punkte: Bei Vorschulkindern sei zB. der Erzieher-Kind-Schlüssel der Ganztagsschulen am Nachmittag mit 1:23 viel schlechter als bisher nachmittags im Hort mit 1.15. Ties Rabe erklärte, die Vorschulklassen im Unterricht am Vormittag seien so groß wie die die Gruppen in der Nachmittagsbetreuung. Er verstehe nicht „warum dann die Welt“ untergehe, wenn in der Nachmittagsbetreuung die Vorschul- Gruppen größer seien als die  im Hort.

Die Befragung der Eltern der ersten Ganztagspilotschulen sei keineswegs so positiv ausgefallen, wie vom Schulsenator eingangs behauptet, kritisierte der Vorsitzende des Schulausschusses, Walter Scheuerl, von der CDU Fraktion. In 13 von 18 Punkten hätten die befragten Eltern der Pilot-Ganztagsschulen Nacharbeitungbedarf bei der Qualität festgestellt.

Genau dieses, die Qualitätsansprüche an Ganztagsschule,  habe aber nun Ties Rabe aus dem Hamburgischen Schulgesetz gestrichen.

Tatsächlich konnten sich Eltern bei ihrer Kritik an der qualitativen Ausstattung von Ganztagsschulen bisher auf das geltende Hamburgischen Schulgesetz berufen. Darin ist festgelegt, das für die behördliche Genehmigung von Ganztagsschulen räumliche, personelle und sächliche Qualitätsanforderungen erfüllt werden müssen. Diesen Passus (§13,2) hat Schulsenator Rabe gestrichen, in seinem neuen Schulgesetz kommt er nicht mehr vor. (s. Kirschsblog vom 21.Mai). Der Passus habe aber sowieso unter Haushaltvorbehalt gestanden, erklärte dazu der Andreas Gleim von der Rechtsabteilung der Schulbehörde. Die Frage, warum der Schulsenator ihn jetzt ersatzlos gestrichen hat, beantwortete er nicht.

Ein zweiter Kritikpunkt des Ausschussvorsitzenden Scheuerl betrifft den Wegfall der Bezeichnung „offene Ganztagsschule“. Die Unterscheidung zwischen „offener“ und „gebundener Ganztagsschule“,die es im bisherigen Gesetz gab, hat Ties Rabe ebenfalls gestrichen. Auch sie kommt im seinem neuen Schulgesetz nicht mehr vor. (S. dazu, Kirschsblog, 31.Mai). Walter Scheuerl erinnerte an eine Formulierung von Bürgermeisters Olaf Scholz , der „Lufthoheit über den Kinderbetten“,  und erklärte, es finde sich nun kein „verbrieftes Recht für Eltern auf Halbtagsschule in erreichbarer Nähe“ mehr im neuen Gesetz.

Diese „nicht nachvollziehbar“, so dazu Ties Rabe. „Wir sind der Meinung, das muß nicht in das Gesetz geschrieben werden“. Niemand habe die Absicht, flächendeckend Gebundene Ganztagschulen für alle als einzuführen.  Aber auch die Frage, warum er die Bezeichnung „offene Ganztagsschule“ aus dem Gesetz gestrichen hat, beantwortete er nicht.

Wegen der Streichung des Qualitätsanspruchs und des Halbtagsanspruchs in erreichbarere Nähe sei das Gesetz für Hamburger nicht zustimmungsfähig, erklärte der Ausschussvorsitzende Scheuerl darauf.

Auch die Kritik an den vom SPD Senat geplanten 10prozentigen Kürzungen bei freien Jugendhilfeangeboten wiesen die Senatoren Scheele und Rabe zurück. Kinder könnten nun einmal nicht gleichzeitig in der Ganztagsschule und in der Jugendhilfe sein, erklärte Detlef Scheele. Es gebe jetzt einen „Umsteuerungsprozess“ in Richtung Ganztagsschule. Bei den weiterführenden Schulen gebe es eine Tendenz zur gebundenen Form der Ganztagsschule, ergänzte Senator Rabe . Schüler würden künftig nicht weiter nachmittags in Stadtteilen „herumgeistern“. Nach dem Ende der Hortangebote im Jahr 2015 würden „sämtliche Nachmittagsangebote an den Schulen stattfinden.“

Die Zahlen der Nutzer in Jugendhilfeeinrichtungen seien aber nach Einführung der Ganztagsschulen in den letzten Jahren keineswegs rückläufig, erklärte Christoph  de Vries von der CDU und forderte, das Angebot der Vielfalt zu erhalten. Ties Rabe wies auf die geplanten zweiten runden Tische hin, zu denen Schulen und Jugendhilfe vor den Sommerferien zusammenkommen sollten, um eine Zusammarbeit zu planen. Die Schulen müßten „erkennen, was im Stadtteil passiert“  und die Einrichtungen müßten „lernen, dass es ein Miteinander geben kann“.

Kooperationspartner der ganztägigen Bildung und Betreuung an Ganztagsschulen könnten auch gekündigt werden, wenn sie nämlich anstelle von Erziehern unqualifiziertes Personal beschäftigten, war schließlich die Antwort auf eine Frage von Mehmet Yildis von den Linken. Probleme sollten künftig zwischen alle Beteiligten in der Vertragskommission besprochen werden, sowie in vierteljährliche Gesprächen mit dem Schulsenator. Wie die Grüne scheint auch die Linke grundsätzlich zufrieden mit Ties Rabes Ganztags-Reform. Zwar gebes es objektive Probleme und Nachbesserungsbedarf, aber sie fände es gut, dass „Kinder nicht mehr über ihre Eltern definiert würden“, erklärte Dora Hayen von der Fraktion der Linken.

 Mit den Stimmen der SPD und gegen die Stimmen der CDU wurde dann Punkt für Punkt abgestimmt und das der Entwurf des neuen Schulgestzes an den Haushaltausschuss überwiesen. Die FDP enthielt sich, die anderen Parteien wechselten zwischen Zustimmung, Ablehnung und Enthaltung. im Juni wird es voraussichtlich in der Bürgerschaft beschlossen und im August in Kraft treten.

Thema Inklusion

Auch der zweite Teil des Ausschusses, das Inklusionskonzept von Schulsenator Rabe, zusammengefaßt in der Drucksache 3641 unter dem Titel „Inklusive Bildung an Hamburgs Schulen“ , wurde bestimmt von ausführlichen Ausführungen des Schulsenators. Sein Konzept regelt die Organisation und Qualität der sonderpädagogischen Förderung, die Weiterbildung der Kollegien sowie die Personalausstattung an allen allgemeinen Schulen.Ties Rabe rechnete vor, dass er mit seinem Inklusionskonzept „bundesweit die beste Ressouce“ zur Verfügung stelle, dass sie „vollkommen ausreichend“ sei, er halte damit sogar „wissenschaftliche Forderungen“  ein. 

Allerdings, kritisierte er nun selber, würden plötzlich immer mehr Schüler als förderbedürftig gemeldet. Für jeden Schüler, der die Sonderschule verlasse, meldeten die allgemeinen Schulen plötzlich zwei Sonderschüler an, im Jahr 2010 waren das insgesamt 2006 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache, emotionale und soziale Entwicklung (LSE ).Da habe sich offenbar plötzlich der „Masstab der Gutachten verändert“. Für ihn ein Zeichen, dass es richtig sei, „nicht auf Gutachten zu setzen“. Er wolle deshalb bei LSE Gutachten „besser nicht einsetzen“.  

 Stattdessen setzt Ties Rabe beim Förderbedarf LSE auf die systemische Ressource, bzw. das “systemische Fördermodell“ . Künftig sollen demnach nicht mehr dem einzelnen Kind nach einem Gutachen, sondern der Schule pauschal die sonderpädagogischen Fördermittel und Ressourcen zugerechnet werden. Errechnet werden diese Fördermittel und Ressourcen auf der Grundlage einer angenommenen Quote von fünf Prozent Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf pro Jahrgang. Als weiterer Berechnungs-Faktor kommt noch die soziale Lage (Sozialindex) der Schule hinzu, unterteilt nach den sogenannten Kess-Gebieten.  

Dieses systemische Fördermodell nach Quote und Kessfaktor sei „nicht transparent“ und führe zu „Ungerechtigkeiten“, hatten bei der Anhörung im Schulauschuss vor vier Wochen viele Lehrer, Sonderpädagogen und Sozialpädagogen kritisiert. „Ja zur Inklusion“, so die die einhellige Meinung, „aber so geht es nicht.“ (s. Kirschsblog v. 26. April)

Von diesen Ungerechtigkeiten war auch im Ausschuss die Rede, einige Schulen hätten mehr Kinder mit sonderpädagogischem Förberdarf, und bekämen viel zu geringe Ressourcen, andere dagegen etwas zuviel. Dies führe vor allem bei Stadtteilschulen zu hohen Belastungen und Ungerechtigkeiten. Das Zweisäulenmodell mit den stark belasteten  Stadtteilschule, die  für leistungsstarke Schüler unattraktiv werde, und Gymnasien, die keinen Beitrag zur Inklusion leisteten, sei gefährdet, erklärten Abgeordnete von Grünen und der Linken.  Die CDU hatte noch am Montag vor der Ausschussitzung einen Antrag gestellt, „Inklusion richtig machen“ so der Titel.  Anstelle der systemische Ressourcenzuweisung wird darin ua. eine Einzelfalldiagnostik, die Erstellung eines Förderplans, der Rechtsanspruch auf eine fachgerechte Förderung im Unterricht  sowie eine Beratung der unterrichtenden Kollegen gefordert

Den „großen Gesang über die Ressourcen“, wie Ties Rabe es formulierte, wies Ties Rabe im Schulauschuss zurück.  Ihm sei aufgefallen, dass bei der Anhörung nur Vertreter früherer I-Klassen aufgetreten seien. Zustimmend reagierten einige Zuhörer, als Dora Hayenn von der Linken darauf kritisierte, wie der Schulsenator mit den Sorgender Lehrer umgehe, und dass er sie derart abqualifiziere. Die Stadtteilschulen, so Ties Rabe dann weiter,  seien nicht in Gefähr, man solle diese Gefahr auch nicht herbeireden. Sie hätten auch deutlich mehr Lehrer und Flächen zur Verfügung als Gymnasien, letztere leisteten einen höheren Beitrag zur Inklusion, als weithin bekannt sei. Die systemische Ressource, so versicherte der Schulsenator, habe viele Vorteile, auch nach Ansicht der Wissenschaftler und im Übrigen müssten die Schule und Unterricht sich im Zuge der Inklusion ändern, das sei für ihn ausschlaggebend. Spezielle Sonderschulen würden darüber hinaus weiter angewählt und sie würden auch bleiben.  Dass die systemische Ressource auch in der Wissenschaft umstritten ist,  und dass es  Wissenschaftler gibt, die  stattdessen die Einzelfalldiagnostik, Förderpläne und und die entsprechenen Vergabe der Ressourcen an das einzelne Kind befürworten, (so auch in der Anhörung im Schulausschuss im , liess der Schulsenator unerwähnt.  

Am Ende wurde das Inklusionskonzept des Senators mit den Stimmenmehrheit der SPD angenommen.